Cooperation Jackson im US-Bundestaat Mississippi zeigt, wie ein sozialer und ökologischer Umbau der Gesellschaft “von unten” gelingen kann. Basisdemokratische Versammlungen (popular assemblies), Ernährungssouveränität, solidarische Wirtschaft (Kooperativen) und Community Land Trusts (CLT) sind einige Bausteine dieses zukunftsweisenden Projekts.
Die Stadt Jackson (150’000 Einwohner*innen) liegt in einem Gebiet, das einst dem indigenen Volk der Choktaw durch europäische Siedler geraubt wurde. Die Stadt ist nach dem sklavenhaltenden, siebten Präsidenten der USA Andrew Jackson benannt und mehrheitlich von Schwarzen bevölkert, die ökonomisch benachteiligt und durch das rassistische System sowohl vom Wohlstand als auch von politischer Mitwirkung ausgeschlossen sind. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts organisierte sich die Schwarze Befreiungsbewegung jedoch zunehmend und 1997 wurde der erste Schwarze Bürgermeister von Jackson gewählt.
Aber es ging von Anfang an nicht bloss um «Teilhabe» und «Repräsentation» der Schwarzen Bevölkerung. Der sogenannte «Jackson-Kush-Plan» wollte dem US-System, das auf kolonialistischer und kapitalistischer Ausbeutung von Natur und Mensch beruht, eine demokratische und sozial gerechte Alternative entgegensetzen und diese auch konkret umsetzen.
Der Jackson-Kush-Plan wurde kollektiv von radikalen Organisationen aus dem Bundesstaat Missisippi erstellt und ist der Strategieleitfaden für die 2014 gegründete Organisation Cooperation Jackson sowie deren Verbündete.
Der Inhalt des Plans basiert einerseits auf jahrzehntelangem Aktivismus und Erfahrung von politischer Arbeit von Schwarzen Bürgerrechts- und Befreiungsbewegungen im Süden der USA, andererseits ist es das Resultat der Theorie und Ideologie von Ursprungsorganisationen wie der Republic of New Afrika (RNA) und dem Malcolm X Grassroots Movement (MXGM), unter anderen. Diese Bewegungen haben auch eine klar sozialistische Orientierung und ist in seiner Analyse und Praxis dem Kommunalismus sehr nahe, obwohl sie diesen im Plan konkret nicht benennen.1 So ist Cooperation Jackson auch Mitglied der in den USA aktiven kommunalistischen Konföderation Symbiosis Revolution.
Selbstverwaltung und direkte Demokratie
Der Jackson-Kush Plan hat drei Grundpfeiler: Volksversammlungen (People’s Assemblies), eine unabhängige Schwarze Parteipolitik2 und Solidarische Wirtschaft.
Die regelmässigen Volksversammlungen verstehen sich als Ausdruck Schwarzer Selbstverwaltung und partizipativer, direkter Demokratie und existieren als gelebte Alternative und Widerspruch zu dem repräsentativen demokratischen System. Sie sind von Moderator*innen geleitet, funktionieren aber ohne Hierarchie. Die Versammlungen fällen politische Entscheide, beispielsweise über neue Kooperativen, über Kampagnen (wie «Take Back the Land») oder über sozialen Wohnungsbau. Popular Assemblies haben eine lange Tradition in Mississippi und in der Schwarzen Befreiungsbewegung – und waren auch in den indigenen Stämmen Nordamerikas üblich, bevor ihnen der US-Staat das repräsentative Politsystem aufzwang. (Direkte Demokratie ist also keine europäische Erfindung, wie auch dieser Artikel aufzeigt. )
Einen wichtigen Schub erhielten die Versammlungen aus verschiedenen strukturellen Gründen, unter anderem wegen finanzieller und infrastruktur-technischer Vernachlässigung von mehrheitlich Schwarzen Gebieten der Stadt sowie mangelnder Hilfe für Schwarze Gemeinschaften nach der Katastrophe des Hurrikan Katrina im Jahre 2005; die Schwarze Bevölkerung sah sich gezwungen, sich selber zu organisieren und dafür legitime Institutionen zu schaffen.
Der Jackson-Kush-Plan spricht in diesem Zusammenhang von «Doppelmacht» (dual power). Doppelmacht beschreibt eine Situation, in der eine selbstermächtigte Bevölkerung mit basisdemokratischen Institutionen wie Versammlungen und Räten dem Nationalstaat gegenübersteht. Die Gegenmacht «von unten» übt nicht nur Druck aus, sondern macht dem Staat auch die Legitimation streitig. Wenn eine basisdemokratische Bewegung den Menschen mehr Partizipation ermöglich und sie bestenfalls auch ökonomisch ermächtigt (wie in Jackson) und ihre Bedürfnisse besser erfüllen kann, dann wird der Staat überflüssig und die Menschen wenden sich von ihm ab.
Solidarische Wirtschaft: Die Commons dekommodifizieren
Der Jackson-Kush-Plan sieht vor, eine sogenannte «Solidarische Wirtschaft» aufzubauen, bestehend aus landwirtschaftlichen Kooperativen, selbstverwalteten Unternehmen, Wohngenossenschaften und gemeinnützigen Kredit-Institutionen. Eine solche alternative Wirtschaft beruht auf Werten wie Solidarität, gegenseitiger Hilfe und Commons und fördert die Autonomie der ganzen Bevölkerung. Gleichzeitig wird die Ernährungssouveränität hergestellt – was gerade für die wirtschaftlich schwache und von staatlicher Austerität besonders gebeutelte Schwarze Bevölkerung entscheidend ist. Die lokalen Kooperativen knüpfen dabei an ähnliche regionale und nationale Netzwerke an, um eine Übergangsphase zum Sozialismus zu ermöglichen. Mit der solidarischen Wirtschaft soll die materielle Basis für ein autonomes Leben und eine autonome Politik ermöglicht werden.
Die wirtschaftliche Planung – was, wie und wieviel produziert wird – wird nicht dem freien Markt mit seinen Profitanreizen überlassen, sondern demokratisch geplant und entschieden. Wenn es z. B. darum geht, eine neue Kooperative zu starten, berät ein demokratisch gewähltes Komitee oder je nachdem auch die Versammlung darüber, ob es ökonomisch sinnvoll ist.
Cooperation Jackson versteht sich als ein Netzwerk von Kooperativen, die sich gegenseitig unterstützen und verstärken. Die Kooperativen bilden die Basis ihrer Transition in den Sozialismus – die wirtschaftlichen Strukturen stehen unter kollektivem Besitz und werden demokratisch von dessen Arbeiter*innen verwaltet. Die Bandbreite reicht von Rasenmäh-Teams über Biofarmen bis zu 3D-Druck. Ein Start-up-Center wurde eingerichtet und die Solidarität zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen wird gross geschrieben. Grosser Wert wird auf Bildung (education) gelegt, um das Wissen über ökonomische und politische Praxis weiterzugeben.
Eine wichtige Rolle spielen die «Community Land Trusts» (CLT). Ein CLT ist Land, das vergesellschaftet wird (in der Regel durch Kauf – aber es gibt auch Besetzungen) und somit dem Immobilienmarkt entzogen wird. Das Land steht anschliessend unter kollektivem Besitz und wird gemeinschaftlich verwendet. CLT werden von den Communities genutzt, um darauf Landwirtschaft zu betreiben oder nicht-profitorientierten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Cooperation Jackson bezeichnet diese Praxis als ein «Wiederherstellen der Commons» – Land und Wohnraum werden dekommodifiziert, Eigentumsverhältnisse werden transformiert und die privat angeeignete «soziale Produktion» wird demokratischen Prozessen unterworfen. Die Praxis der CLT hat in Amerika und allgemein im englischen Sprachraum eine jahrzehntelange Tradition.
Konstruktive Lösungen für die Klimakrise
Was in Jackson realisiert wird, hat auch einen globalen Aspekt. Es ist eine Form des Widerstands gegen die drohende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Um der Klimakrise zu begegnen, sollten wir die Arbeit, die auf lokaler Ebene passiert, zu einer konkreten Alternative zum kapitalistischen Alltag verbinden, sagt Kali Akuno, ein Sprecher von Cooperation Jackson (Video). Dahinter stehe eine grössere Vision von Ernährungssouveränität, Dekolonisierung, Re-Commoning von Land sowie neuen Arten der Produktion auf lokaler und regionaler Ebene. Es muss eine Produktion sein, die auf Gebrauchs- statt Tauschwert und auf gegenseitiger Hilfe basiert, aber auf eine politische Art und Weise, sodass sie die lokale Autonomie fördert. Im Endeffekt geht es darum, die destruktive und ausbeuterische Praxis zu limitieren, die uns derzeit «in den Rachen gestopft wird», und diese schlussendlich ganz auszulöschen.
Jetzt ist die kritische Zeit, um dies zu tun, finde Kali Akuno: Die Zahl der Jobs nimmt weltweit ab, was zu einer massiven Protest- und Streikwelle führt. Wie wollen die Konzerne und Staaten die Krise lösen? Wie wollen sie die Erfüllung von fundamentalen Bedürfnissen und die Profitmaximierung unter einen Hut bringen? Die Krise öffnet uns einen Raum, in dem wir eine Antwort liefern können. Damit die Energie nicht verpufft, müssen wir jetzt unsere Programme3 erstellen, um einen Ökosozialismus von unten aufzubauen.
Website: https://cooperationjackson.org/
Facebook: https://www.facebook.com/CooperationJackson
Instagram: https://www.instagram.com/cooperationjxn/
Bildquelle Titelfoto: cooperationjackson.org
1 Im Buch “Jackson Rising” verwendet Kali Akuno den Begriff “municipal socialism” und bezieht sich dabei unter anderem auf das Buch “Social Ecology and Communalism” von Murray Bookchin.
2 Im Jahr 2013 wurde Chokwe Lumumba aus dem Umfeld der Cooperation Jackson zum Bürgermeister von Jackson gewählt. Leider verstarb er ein Jahr später. Sein Amt übernahm sein Sohn, der sich allerdings von den Idealen der Cooperation Jackson entfernt hat.
3 Kali Akuno betont, dass es kein allgemeingültiges „Rezept“ für lokale Programme gibt. Andere Orte können gewisse Elemente aus Jackson übernehmen, aber nicht alles, da alles für den jeweils lokalen Kontext passen muss. Siehe auch: https://youtu.be/TZFcRy0ytsI (ab Minute 40:40)
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