„Die Republik demokrati​sieren, die Demokratie radikalisieren“

Im Territorium, das “Frankreich” genannt wird, erleben kommunalistische Bewegungen zurzeit einen Aufschwung, angefangen von den Gilets Jaunes über Gemeinde-Initiativen bis zu autonomen, praxisbezogenen Organisationen. Ein ganz junges Beispiel ist das “Mouvement Municipal” (das übrigens auch in St. Imier vertreten war). Es hat soeben einen Text veröffentlicht, in dem es seine Vision einer direkten, lokalen und konföderalistischen Demokratie präsentiert. Durch lokale Versammlungen sollen demokratische Räume geöffnet werden, was uns zudem ein Mittel in die Hand gibt, um der Klimakrise kollektiv zu begegnen. Da solche strategischen Inputs auch für deutschsprachige Regionen relevant sind, haben wir den gesamten Text übersetzt.

Vorstellung des “Mouvement Municipal” – Organisation der radikalen Demokratie

Wer sind wir?

Wir sind eine assoziative und spontane Organisation. Unser kurzfristiges Ziel ist, den Gedanken und die Literatur des libertären Munizipalismus zu teilen, wie auch einen Ort des offenen Austausches über die demorkatischen Ideen dieser politischen Strömung zu schaffen. Langfristig hoffen wir, Situationen der direkten Demokratie im ganzen französischsprachigen Raum umzusetzen oder zu tragen – Räume, die uns momentan am vertrautesten sind. Wir haben nur ein einziges Motto:

Die Republik demokratisieren, die Demokratie radikalisieren”1

Was sind unsere Handlungsachsen?

Wir orientieren unsere Aktionen an zwei politischen Achsen:

1. Die Vermittlung von demokratischen und ökologischen Ideen, wie sie vom libertären Munizipalismus und der Sozialen Ökologie propagiert werden. Wir tun dies, indem wir Dokumentationen, Reportagen und leicht verständliche Videos realisieren, wie auch Gespräche und Korrespondenz.

2. Die praktische Umsetzung dieses Konzepts mittels Aktionsstrategien in den Quartieren und Gemeinden.

Dies tun wir durch Vermittlungsaktionen, um Schritt für Schritt Orte des demokratischen Austauschs zu schaffen.

Welche Demokratie?

In diesem Sinn wünschen wir uns eine Demokratie, die:

  • direkt ist, um uns von den Politiker*innen zu befreien,
  • lokal ist, damit sie zugänglich und im materiellen Alltag verankert ist,
  • konföderalistisch ist, um eine konsitente politische Struktur zwischen den Gemeinden zu schaffen.

Diese Demokratie könnte sich etablieren, indem Versammlungen geschaffen werden, entweder durch eine Autonomie der Bevölkerung2 (Kommunalismus) oder durch lokale Wahlen (Munizipalismus). Wie diese Versammlungen funktionieren, bestimmen die Anwesenden selber, je nach ihrem ortsspezifischen Kontext. Beispielsweise können sie sich für Mehrheitswahl oder für Konsens entscheiden.

Was für Repräsentant*innen?

Um die Entscheidungen der Versammlungen umzusetzen, müssen Repräsentant*innen3 gewählt werden. Die Versammlung muss, da die Verwaltung für die Einzelnen zu komplex wäre, nach Möglichkeiten suchen, ein Komitee von Repräsentant*innen einzusetzen, die im Interesse der Versammlung handeln, ihr Rechenschaft ablegen und bei Zuwiderhandeln zurückgerufen werden können.

Um das in die Praxis umzusetzen, suchen wir nach den zuverlässigsten Verfahren für diese Problematik. Wir wollen nicht, dass diese Repräsentant*innen zu einer Führungskaste werden. Sie müssen gehorchen und nicht befehlen, repräsentieren und nicht ersetzen, kurz: den anderen dienen, nicht sich selbst.4

Wie funktionieren wir intern?

Ihrerseits wird sich die Bewegung besser ausrichten, wenn sie nach denselben demokratischen Prinzipien funktioniert. Um das zu tun, teilt sich die Organisation momentan in zwei Stufen:

1. Anhänger*innen, die das Mouvement Municipal nach ihren eigenen Möglichkeiten unterstützen können, ohne mit dem Aktivismus oder der politischen Theorie sehr vertraut zu sein.

2. Aktivist*innen, die auf demokratische Weise als geeignet erachtet werden, das Mouvement Municipal zu repräsentieren und eine besondere Fähigkeit für diese Aufgabe vorzeigen können. Bei einem persönlichen Treffen wird die Motivation beurteilt, was schliesslich zu einer Wahl durch die Gesamtheit der Aktivist*innen führt.

Welche Ökologie?

Ökologie ist die grösste Herausforderung der vergangenen und kommenden Jahrzehnte. In ihrer heutigen Form ist sie verkürzt, limitiert und wird nur mässig umgesetzt, sowohl durch die neoliberale Politik, die aktuell an der Macht ist, als auch durch die politischen Parteien, die sie als Speespitze benutzen. Ökologie wird ausschliesslich aus einer autoritären Optik betrachtet: ökonomischer Interventionismus, Techno-Lösungen, Öko-Autoritarismus etc.

Demgegenüber propagieren wir eine soziale Ökologie, eine Ökologie der Freiheit: einer Freiheit, die kollektiv aus Versammlungen heraus erwächst. Nur wenn wir uns auf die täglichen materiellen und konkreten Bedürfnisse stützen, können wir zu einer zuträglichen Ökologie gelangen.

Deshalb müssen wir unsere Gewohnheiten hinterfragen, beispielsweise: Warum besitzen wir alle einen Drucker, der nach 300 Ausdrucken den Geist aufgibt?

Welche Wirtschaft?

Es scheint uns schwierig zu sein, direkte Demokratie, Ökologie und Kapitalismus miteinander zu vereinbaren. Während die einen nicht an Versammlungen teilnehmen können, weil sie bei der Arbeit zu Überstunden gezwungen sind, können die anderen genau diese Versammlungen nutzen, um sie zu befreien, indem sie die Fehler des industriellen Projekts anprangern.

Deshalb müssen wir dieser Wirtschaftsweise, die von der Akkumulation und der Ausbeutung der Ressourcen diktiert wird, ein Ende setzen. Es wird entscheidend sein, sie durch eine demokratische Form des Wirtschaftens zu ersetzen, die nach lokalen Gegebenheiten funktioniert (Arbeiter*innen, Bedürfnisse, Rohstoffe etc.); bei der die Produktion mit den realen Bedürfnissen der Einwohner*innen und Arbeiter*innen in ihrem Alltag zusammenfällt.

Um von hier aus noch einen Schritt weiter zu gehen …

Wie oben erwähnt, ist unser Ziel auch, Literatur des libertären Munizipalismus und Kommunalismus zu teilen. Deshalb empfehlen wir euch folgende Werke:

Findet uns!

Auf unserer Website, in unseren sozialen Medien (Instagram, Youtube), an den Versammlungen, die wir organisieren und an den lokalen Aktionen, die wir durchführen!


1 Dieser Leitspruch stammt von Murray Bookchin, siehe: https://roarmag.org/magazine/biehl-bookchins-revolutionary-program/

2 Im Original: “autonomie citoyenne”.

3 Auch die direkte Demokratie kommt nicht ohne ein gewisses Mass an Repräsentation aus. Der entscheidende Unterschied einer wirklichen direkten Demokratie zu sogenannten “Demokratien” wie der französischen Republik oder der schweizerische Eidgenossenschaft ist jedoch, dass die Repräsenant*innen nicht das freie Mandat haben, sondern das imperative Mandat, und jederzeit abgewählt werden können.

4 Hier bezieht sich das Mouvement Municipal auf die sieben Prinzipien des gehorchenden Regierens der Zapatistas: https://netzwerkkommunalismus.wordpress.com/2021/09/09/wie-die-zapatistas-gehorchend-regieren-lektionen-in-basisdemokratischer-selbstverwaltung/


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