Das offizielle Glasgow präsentiert sich als klimafreundliche und sozial progressive Stadt, setzt aber vor allem auf Marktlösungen. Diesen “schwachen” Munizipalismus kritisiert das radikal-munizipalistische Kollektiv SANE. Was stattdessen nötig wäre: nicht-hierarchische Face-to-face-Versammlungen, in denen Menschen mit diversen Hintergründen und Perspektiven zusammenkommen und ein gemeinsames Verständnis von Problemen des alltäglichen Lebens entwickeln.
Der Originaltext ist am 22.2.2024 hier erschienen. Übersetzung: Netzwerk für Kommunalismus.
Letztes Jahr haben wir eine Serie von Blogs produziert, die hervorheben sollten, auf welche Weise politische Entscheide und das policy making in Glasgow einen grösstenteils negativen Effekt auf die vorgeblichen Ziele der Stadt, fair und nachhaltig zu sein, hatten. Obwohl das Stadtparlament die Bedeutung der Städte als Treiber effektiven Wandels anzuerkennen scheint und tatsächlich den Anspruch hat, eine “Weltklassestadt” zu werden, argumentieren wir, dass seine Herangehensweise vor allem pragmatisch und unternehmerisch ist und sich auf den Kapitalismus verlässt. Es prahlt mit seiner Teilhabe an einer Form von Munizipalismus und fremdfinanzierten Forschungsnetzwerken, die ihren Fokus auf Redesign, Resilienz und Experimente legen, um der Klimakrise und verschiedenen Formen von Ungleichheit und Mangel zu begegnen. Doch keine dieser Verbindungen und Intiativen spricht die Grundursachen dieser Probleme an.
Wenn du unsere Website angeschaut hast, weisst du, dass SANE stattdessen einem radikalen Munizipalismus verpflichtet ist. Wir streben nach einem fundamentalen Bruch mit der Art und Weise, wie sich Glasgow und andere Städte als progressiv und organisiert präsentieren. Zentral ist, dass es eine Machtverschiebung vom Top-down zum Bottom-up braucht. Die Entscheidungsfindung über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollte dasjenige ins Zentrum stellen, was für das alltägliche Leben relevant ist. Dies zu erreichen, bedingt das aktive Engagement der Bürger*innen in nicht-hierarchischen Versammlungen von Angesicht zu Angesicht, wo Menschen mit diversen Hintergründen und Perspektiven zusammenkommen können, um ein geteiltes Verständnis von Problemen zu entwickeln und nach Gemeinsamkeiten und Handlungsmöglichkeiten suchen, das heisst, in deliberativem Dialog.
Dual Power
Die radikal munizipalistische Hypothese ist, dass aus dieser Art von Versammlungen eine “Dual Power” (Doppelmacht) erwächst. Zuerst gibt es eine Verschiebung der bestehenden Staatsmacht, wenn die Institutionen, die diese aufrechterhalten, besetzt und transformiert werden. Gleichzeitig tauchen neue Formen des Arbeitens auf, wenn Menschen in verschiedenen sozialen Bewegungen und Praktiken zusammenkommen. Dass sich der radikale Munizipalismus auf Städte und Gemeinden fokussiert, liegt nicht daran, dass diese Arrangements etwas intrinsisch Gutes besässen, sondern hat damit zu tun, wie eng die Leben der Menschen auf dieser Ebene miteinander verflochten sind. [Städte und Gemeinden] sind der Ort, wo sich Menschen am ehesten begegnen und wo die Möglichkeit der Versammlung am ehesten gegeben ist.
Der Aufwind, den diese Art von Wandel, wie sie dem radikalen Munizipalismus vorschwebt, gerade erlebt, ist als Antwort auf die momentanen Krisen entstanden – Umweltveränderungen, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, steigende Lebenskosten, zunehmende Ungleichheiten, alles Produkte der kapitalistischen Wirtschaft.
Vier Themen können identifiziert werden, die als effektivste Möglichkeiten, diesen Krisen entgegenzutreten, angesehen werden:
- die Demokratisierung der politischen Entscheidungsfindung wie oben ausgeführt,
- wirtschaftliche Reorganisation,
- die Feminisierung der Politik und
- ökologische Transformation.
Wir werden die Bedeutung dieser Möglichkeiten in späteren Blogs im Detail erkunden, aber zusammenfassend regen diese Themen zu einer Umgestaltung der Wirtschaft an, um ins Zentrum zu stellen, was für alle “fundamental” ist – Essen und Wasser, Wohnung, Bildung, Energie, Sorge (care), Kultur usw. Darüber hinaus fordern sie die dominanten, maskulinistischen Arten des Denkens und Arbeitens heraus, die hierarchisch, kompetitiv und autoritär sind. Ökologische Transformation schliesslich sucht nach Wegen, wie die menschliche Natur und die nicht-menschliche Natur in Harmonie koexisiteren können.
Verschiedene Städte rund um die Welt haben eine Reise begonnen, in der die Ideen des radikalen Munizipalismus langsam Formen annehmen, aber es ist ein schwieriger Kampf. Was an einem Ort funktionieren mag, mag an an einem anderen Ort nicht funktionieren. Glasgow hat eine starke Geschichte des Widerstands gegen Machtungleichgewichte und Unterdrückung und Experimenten mit Alternativen. Warum schliesst ihr euch nicht an und werdet auch radikale Munizipalist*innen.
[An dieser Stelle steht ein Aufruf an Einwohner*innen von Glasgow, sich SANE anzuschliessen.]
LINKS
Dieser Blog basiert grob auf einem Artikel von Roth, Russell and Thompson (2023): Politicising proximity: Radical municipalism as a strategy in crisis
Beispiele, wie die Stadt Glasgow in verschiedene Netzwerke und Forschungsinterventionen involviert ist:
The Resilient Cities Network
GALLANT – Glasgow as a Living Lab Accelerating Novel transformation
Zum Selbstverständnis des Kollektivs SANE in Glasgow
Das Kollektiv SANE (Solidarity Against Neoliberal Extremism) ist eine Aktivist*innen-Gruppe, die daran arbeitet, Solidarität gegen neoliberalen Extremismus zu entwickeln. Unsere geteilte Perspektive ist, dass die neoliberale kapitalistische Ideologie dafür verantwortlich ist, extreme soziale und ökonomische Ungleichheit, globale Untätigkeit in Bezug auf Klimagerechtigkeit, patriarchale Strukturen und Normen sowie weitere Misstände zu befördern und aufrecht zu erhalten. Unser gteiltes Ziel ist, zu bilden, zu mobilisieren und zu organisieren rund um progressive demorkatische Werte, um zum Aufbau einer starken sozialen Gegenbewegung beitzutragen, die positive antikapitalistische Alternativen anbietet, die Gemeinschaften und Individuen darin unterstützen, in Harmonie miteinander und mit dem Planeten zu leben. Glasgow hat viele Aktivist*innen-Gruppen, die aufstehen, um Menschenrechte, Demokratie und das gemeinsame Gute zu verteidigen, was einen nachhaltig positiven Effekt haben könnte – jedoch fehlt momentan die Synergie und Solidarität in ihrer Arbeit und es besteht eine riesige Notwendigkeit, über unsere gegenwärtige Aktivist*innen-Basis hinaus zu gehen, um die breite Bevölkerung der Stadt zu involvieren.
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