Die soziale Ökologie betont, dass es unmöglich ist, ökologische Massnahmen getrennt vom gesellschaftlichen System zu denken. Denn: Die grösste Gefahr für das Klima ist, wenn das „business as usual“ weiterläuft. Wirkliche Lösungen sind erst möglich, wenn sich die Gesellschaft von ihrer Basis her politisiert und ihre Macht-, Politik-, Eigentums- und Produktionsverhältnisse komplett neu gestaltet.
Geht es nach bürgerlich-liberalen Entscheidungsträger*innen, ist Klimaschutz eine Frage von Technologie und Verhaltensänderung. Wir müssen nur die Benzin-Autos durch E-Autos ersetzen, die fossilen Energien durch nachhaltige ersetzen, und wir alle müssen gemeinsam ein bisschen Verzicht üben, mehr recyceln und eine „Kreislaufwirtschaft“ einführen. Eine rein wissenschaftliche, „neutrale“ Angelegenheit, die weder links noch rechts ist.
Was diese Sicht übersieht und verschweigt: Das Hoffen auf neue technologische Lösungen, wie z. B. CO2 aus der Atmosphäre abzusaugen, ist allzu oft ein Feigenblatt, das den Unternehmen gestattet, weiter zu produzieren und Klimagase auszustossen. Doch „Verzicht“ fühlt sich für Menschen, die an der Grenze zum Existenzminimum leben, anders an als für wohlhabende. Dasselbe gilt für die Forderung, den individuellen Fussabdruck zu verkleinern. All dies sind politische, soziale Fragen, die hier auftauchen, und die alles andere als neutral sind.
Ökologische Probleme sind soziale Probleme
Der Grundsatz der sozialen Ökologie lautet, dass alle ökologischen Probleme auf tieferliegende, soziale Probleme zurückzuführen sind. Mit anderen Worten: Es ist eine Illusion, dass die Zerstörung des Klimas aufgehalten werden kann, solange der Kapitalismus weiterbesteht. Technische oder gesetzgeberische Massnahmen, allein für sich, reichen nicht aus. Sie sind nötig, ja, aber mit ihnen lässt sich der Klimakollaps bestenfalls ein paar Jahre aufschieben. Aber nicht stoppen. Denn der bürgerlich-liberale Klimaschutz verschleiert mit seiner vorgeschobenen politischen „Neutralität“ die Ursache der Krise: den Zwang zum ewigen Wachstum, der dem Kapitalismus inhärent ist.
Auf der anderen Seite liegt auch die „alte Linke“ falsch, wenn sie meint, zuerst müsste der Kapitalismus überwunden werden, und wenn wir dann den Sozialismus hätten, könnten wir uns den Klimafragen widmen. Die Entwicklungen der letzten paar Jahre zeigen überdeutlich, dass uns dazu die Zeit fehlt. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Antikapitalismus und Klimaschutz müssen gleichzeitig angegangen werden.
Diese Gleichzeitigkeit könnte etwa folgendermassen zum Ausdruck kommen: Alle Massnahmen, die ein paar Tonnen CO2 einsparen und uns ein paar zusätzliche Jahre bringen, geben uns zusätzlich zu ihrem primären Nutzen wertvollen Handlungsspielraum, um eine revolutionäre Transformation der Gesellschaft in Gang zu setzen. Andere Formen der Wirtschaftens und des Zusammenlebens müssen hier und jetzt erprobt und ausgeweitet werden. Neue und bessere Arten, Grundbedürfnisse zu befriedigen und Produktion sowie Reproduktion demokratisch zu planen. Die Wachstumslogik muss beendet und die Gesellschaft muss rund um Sorge – in Form einer Post-Knappheits-Gesellschaft der Fülle und des öffentlichen Luxus – aufgebaut werden.
Eigentum neu denken
Das wiederum geht nicht, ohne die Eigentumsfrage anzusprechen. Klimaschutz kann deshalb niemals „politisch neutral“ sein. Wir müssen unsere Vorstellung von Eigentum völlig neu denken. Die soziale Ökologie fordert, dass die Produktionsmittel vergesellschaftet werden. Nicht in dem Sinn, dass der Staat sie übernimmt, sondern dass die Menschen demokratisch darüber entscheiden, wie produziert wird. Vom lokalen Kontext, wo die wichtigsten Tätigkeiten für den Alltag der Menschen stattfinden, bis zu überregionalen, ja globalen Kontexten. Die soziale Ökologie betont dabei, dass sich Entscheidungsmacht nicht zentral in einer Staatsregierung konzentrieren darf, sondern dass sie dezentralisiert werden muss und „von unten nach oben“ fliessen soll. Eine Konföderation von dezentralisierten, autonomen Kommunen bildet somit ein Gegenmodell zum heutigen Nationalstaatenmodell.
Ein sozial-ökologisches Wirtschaften kann nur ein demokratisch geplantes sein. Sozial-ökologischer Klimaschutz bedingt deshalb ein neues Politikverständnis. Allein schon deswegen kann Klimaschutz nicht „politisch“ neutral sein – er verlangt eine neue Art, politisch tätig zu sein. Wenn politische Entscheidungsmacht an der Spitze konzentriert ist, wenn also nur professionelle Politiker*innen um Massnahmen feilschen, werden automatisch Lösungen begünstigt, die mit dem momentan herrschenden, dominanten System vereinbar sind. Wir müssen uns aber bewusst sein: Die grösste Gefahr für das Klima ist das „business-as-usual“.
Basisdemokratische Politisierung der Gesellschaft
Wird Politik hingegen, wie die soziale Ökologie es tut, als eine Tätigkeit verstanden, die alle Menschen ausführen können – nämlich kollektiv über die Gestaltung ihres täglichen Lebens zu bestimmten –, dann öffnen sich Türen für alternative Möglichkeiten. Wohlverstanden: keine Garantie – aber die Möglichkeit, aus dem „business-as-usual“ und dem ewigen Wachstumszwang auszubrechen. Die soziale Ökologie schlägt vor, dass diese Politisierung des Alltags und aller Menschen (sofern sie es möchten) durch lokale Versammlungen und über-lokal durch ein konföderales Rätesystem geschieht.
Für die bestehenden Klimakämpfe – Klimademos, Blockaden, Besetzungen, direkte Aktion, (basis)gewerkschaftliche Organisierung usw. – bedeutet das aus strategischer Sicht, dass die revolutionäre Perspektive bei jeder Aktion immer mitgedacht werden muss. Wirklich sozial-ökologischer Klimaaktivismus bleibt nicht bei den reinen Massnahmen stehen (wie der „politisch neutrale“, liberale Klimaschutz), sondern arbeitet bei jedem Schritt an der basisdemokratischen Politisierung der Gesellschaft weiter.
So leuchtet am Horizont die Möglichkeit auf, dass der Stoffwechsel zwischen Gesellschaft und Natur nicht mehr von übergeordneten, kapitalistischen Interessen angetrieben wird, sondern dort, wo sich Mensch und Natur unmittelbar berühren: bei der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen in ihrem Alltag. Dort zeigt sich am deutlichsten, dass soziale Fragen und ökologische Fragen untrennbar miteinander verwoben sind. Wenn wir Lösungen finden wollen (ob es dann die richtigen sind, sei dahingestellt – die Utopien der sozialen Ökologie sind per Definition nach immer offen, nie vorherbestimmt), dann finden wir sie dort. Nicht bei abstrakten, „politisch neutralen“ Klimaschutzmassnahmen, die bloss erlauben, dass das gegenwärtige Wirtschafts-, Eigentums- und Gesellschaftssystem ungestört weiterläuft.
Lese-Tipp zur sozialen Ökologie:
„Die nächste Revolution“ von Murray Bookchin, Unrast Verlag, 2020
Weitere Infos auch auf kommunalismus.org unter „Literatur/Texte“
Bildquelle: People having a protest for world environment day / www.freepik.com
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