Mit der TRISE-Konferenz 2024 in Athen hat die «social ecology»-Bewegung im europäischen Raum einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Rund 200 Teilnehmende diskutierten über so vielseitige Themen wie Stadtplanung von unten, Geschenkökonomie, Demokratischen Konföderalismus, dekolonialen Widerstand in Indien oder Ecuador, Commons, matriarchale Kultur, indigene Selbstverwaltung oder Ernährungssouveränität. Ein Schwerpunkt war kommunalistische (bzw. munizipalistische) Praxis. Dabei wurden auch Kontraste sichtbar – was kein Nachteil ist, sondern eine notwendige Voraussetzung für eine vertrauensvolle, fruchtbare Diskussionskultur in kommenden Debatten.
Soziale Ökologie (engl. social ecology) belegt längst nicht mehr nur einen Nischenplatz in der politischen Theorie, sondern ist zu einer weltweit wachsenden Bewegung geworden. Immer schon mit einer Praxis der Präfiguration verbunden – im Hier und Jetzt die zukünftige Gesellschaft aufbauen –, bietet sie sozialen Bewegungen von Barcelona bis Rojava ein inspirierendes theoretisches Fundament. Umgekehrt lässt sie sich die Theorie auf existierende Projekte anwenden, die eine präfigurative, dezentrale, egalitäre und kooperative Praxis leben – von lokalen Ernährungssystemen ukrainischer Kleinbäuer*innen1 bis zu sozial-ökologischem Abfallmanagement2 – was wiederum die Theorie bereichert und ermöglicht, dass sie sich stetig weiterentwickelt.
Rund 200 Aktivist*innen und Forscher*innen zeichneten an der 5. Konferenz3 des Transnational Institute of Social Ecology (TRISE) ein beeindruckendes Bild von der momentanen sozialen Ökologiebewegung. Mit über 30 Präsentationen, sechs Keynotes, vier Buchvernissagen und einer Filmvorführung, jeweils mit Q&A, war das dreitägige Programm äusserst dicht und die Bandbreite enorm. Thematische Blöcke drehten sich um klassische Soziale-Ökologie-Themen wie das Natur-Gesellschaft-Verhältnis, Dekolonisierung, direkte Demokratie, dual power, Urbanismus4, Commons5, Patriarchat-Kritik oder die kurdische Freiheitsbewegung. Trotz der Vielfalt war ein gemeinsames Verständnis von sozialer Transformation (bottom-up, autonom, antiautoritär, inklusiv usw.) spürbar, das die Teilnehmenden miteinander verband, ganz im Sinn der oft zitierten «Einheit in der Vielfalt» (unity in diversity)6. Zur guten Atmosphäre hat sicher auch beigetragen, dass es eine brave space policy gab und die erste Rednerin, Krini Kafiris, über nachhaltige Praxis in sozialen Bewegungen sprach – wie Burnouts und die Reproduktion patriarchaler Normen vermieden werden können. Frei nach Audre Lorde: Sich um die eigenen Bedürnisse zu sorgen ist ein radikaler politischer Akt.
Kommunalistische Politik in der Praxis: Autonomie oder Munizipalismus?
Ein Strang, der sich durch die ganze Konferenz zog, war die direkte Demokratie – mit Bookchin gesprochen, das Öffnen einer «politischen Sphäre» – im Gegensatz zu «statecraft», also zum momentan vorherrschenden (hegemonialen), repräsentativen Politiksystem. Dabei traten durchaus Kontraste zwischen den Redner*innen zutage.
Floréal M. Romero7 sprach aus dem Bewusstsein der Dringlichkeit des jetzigen historischen Moments, in dem der Kapitalismus alle Herrschaftsformen der Vergangenheit konzentriert und mit seinem Zwang zum Wachstum alles zur Ware macht, uns Menschen inklusive. Die soziale Ökologie biete uns einen Vorteil, wenn wir diesen Zustand diagnostizieren wollen, und eine klare Vision für ein «Wir», das die politische Sphäre reclaimen kann. Roméro bezieht sich auf die spanischen Anarchosyndikalist*innen und auf Bookchin, verortet sich jedoch dezidiert im ausserinstitutionellen Strategieflügel. Herkömmliche Aktionsformen wie Demonstrationen, Petitionen oder Streiks (von Systemgewerkschaften) seien zu blossen Ritualen verkommen und vom System akzeptiert. «Wir müssen das überdenken und den Staat überraschen», forderte er. Alternativen wie Wohnprojekte, selbstverwaltete Orte, Konsumkooperativen oder Syndikalismus könnten dazu beitragen, eine parallele Gesellschaft zum Staat aufzubauen, die mit ihm in einem Spannungsverhältnis trete.
Immer wieder betonte er in seinem Referat, dass es wichtig sei, diese Projekte zu einer Bewegung zu vereinen. «Die Bewegungen zusammenzubringen» («rassembler les mouvements») heisse, sich um echte Bedürfnisse der konkreten Menschen in den Quartieren und Dörfern zu kümmern, so Roméro. Alle Bereiche, die vom Staat vernachlässigt würden, seien eine Chance für den Kommunalismus. Beispiele seien autonome Bäuerinnen, die sich Landwirtschaftsmaschinen teilen, oder Ernährungsautonomie in ärmeren Quartieren, also nicht nur «Bio für die, die es sich leisten können.» Soziale Projekte, die auf jetzige Bedürfnisse antworten, schaffen Schritt für Schritt die konkreten Orte, wo die Utopie real wird – und jetzt gehe es darum, diese Projekte zu föderieren.
Hingegen warnte Romero vor Reformismus, der scheinbare Lösungen auf dem Tablett serviert und dadurch die sozialen Bewegungen absorbiert. Wenig überzeugt ist er beispielsweise vom Munizipalismus in Barcelona oder den Bürger*innenlisten in Frankreich. «Man verliert das Ziel aus den Augen: aus dem Kapitalismus aussteigen!», so Romero.
Die Kritik liess aber nicht auf sich warten. Dimitri Roussopoulos8 stellte die berechtigte Frage, wie er das Verhältnis der Bewegung zur Macht sehe und wie sich die Gegenmacht institutionalisieren lasse: «Warum nicht einfach die munizipale Macht ergreifen, wie in Montréal, wenn man schon eine starke Bewegung hat?» Floréal M. Romero erwiderte, dass lokale Macht erzeugt werde, indem sich die Bewegungen vereinen und ein Kräfteverhältnis (dual power) schaffen, um den Kapitalismus umzustürzen. Übrigens auch global – diese Haltung sei nah beim Indigenismus, der ebenso den Kapitalismus und den Staat ablehne. Aber wenn versucht werde, in die staatlichen Institutionen einzutreten, ende das oft mit einer Niederlage. Immerhin fügte Romero hinzu: «Aber lasst uns offen bleiben, wir werden sehen …»
Munizipalistische Praxis in Madrid
Das Gegenstück zu Floréal Romeros Referat lieferte Ana Méndez de Andés. Als die munizipalistische Plattform Ahora Madrid 2015 die Wahlen gewann, arbeitete sie als Stadtplanerin für den Stadtrat von Madrid. Somit konnte sie aus erster Hand von munizipalistischer Praxis berichten – und die Erfahrungen, die sie gemacht hat, waren hart und ernüchternd. Kaum seien die munizipalistischen Vertreter*innen in der Stadtregierung angekommen, seien sie – wie in einer Szene in «Herr der Ringe» – von Orks umringt gewesen. Das politische Establishment, die Wirtschaft und die Medien seien gegen sie gewesen und auf der anderen Seite seien sie unter Druck gestanden, die Anliegen der sozialen Bewegungen zu erfüllen. Der eigene Anspruch, den Staat und den Kapitalismus zu transformieren, sei zwar immer dagewesen, es sei aber schwierig gewesen, Konzepte wie urban commons in konkrete Politik umzusetzen. So habe sich schliesslich die politische Arbeit, von aussen betrachtet, nicht von herkömmlicher sozialdemokratischer Politik unterscheiden lassen, trotz des utopischen Horizonts einer Regierung «in common». Das sei der weiteste Schritt gewesen, der unter den realen Umständen möglich gewesen sei. Immerhin seien «manche Transformationen, in manchen Lokalitäten, für manche Menschen» möglich gewesen, und das habe die Vertreter*innen von Ahora Madrid motiviert, an ihren Ambitionen festzuhalten.
Ein Learning, das Ana Méndez de Andés teilte, war, dass munizipalitische Politik nicht ohne Diplomatie und Verhandlungen auskommt. Beispielsweise mit den Transportarbeiter*innen, deren Vertrauen aufgrund der vorangehenden neoliberalen und konservativen Regierungen stark gesunken war. In den Verhandlungen sei es nötig, sich selber zu verändern, und die eigene Organisation müsse diese Veränderung mittragen, sagte Ana Méndez de Andés. Ernüchtert ist sie jedoch, was den libertären Munizipalismus in der 3,5-Millionen-Stadt Madrid angeht: «Die Leute wollen keine Versammlungen», stellte sie fest. «Ich hoffte ehrlich, dass ich mich selber überflüssig machen und die Leute ermächtigen würde», aber das sei nicht passiert, denn die Leute hätten sich einfach eine gute Regierung ohne Austerität gewünscht – und das hätten sie bekommen.
Trotzdem endete Ana Méndez de Andés mit einer positiven Vision. Sie ist nach wie vor überzeugt, dass Munizipalismus ein Transformationsexperiment ist, das vom Ansatz her näher bei den Menschen ist als andere. Mit Praktiken des Commoning, beispielsweise den Zugang zu städischen Raum für alle zu fördern, könne eine zukünftige «munizipalistische Stadt in 30 Jahren» vorbereitet werden.
Synthese: «Es liegt kein Verdienst in der Reinheit»
Am dritten Konferenztag war ein Block speziell der direkten Demokratie gewidmet. Hier zeigte sich, dass neben den Positionen «ausserhalb der Institutionen» und «innerhalb der Institutionen»9 eine dritte Position möglich ist, eine Synthese der beiden. Theodoros Karyotis, der sein Referat in bester Bookchin’scher Manier als «Polemik» ankündigte, kritisierte sowohl die anarchistische Tendenz (die gegen alles Staatliche ist und sich isoliert), als auch die «konstitutionelle» Tendenz (die sich von Parteien abhängig macht und ihre Autonomie aufgibt). Beide seien gescheitert darin, echten Wandel von unten zu bewirken. «Beide beruhen auf einer ähnlichen Annahme, was Macht bedeutet. Sie verstehen nicht, was sie bedeutet.» Die anarchistische Bewegung (in Griechenland) habe nicht zwischen Repräsentation und Delegation unterscheiden können und habe Insurrektion mit Revolution verwechselt. Politische Macht sei aber nicht dasselbe wie der Staat (der lediglich eine spezifische Konfiguration von politischer Macht darstelle). Auf der anderen Seite seien die munizipalistischen Experimente in Griechenland mehr liberal als libertär gewesen. Bedauerlicherweise misstraue auch die Linke in Griechenland der Selbstverwaltung.
Als Ausweg schlägt Theodoros Karyotis Folgendes vor: «lokale Macht (power in place) aufbauen und dann die Volksmacht (popular power) nutzen, um unser Leben zu ändern, ohne sich der Partei- und Top-down-Mentalität hinzugeben.» Das bedeute einerseits, Graswurzel-Ethik in die Öffentlichkeit zu tragen, aber andererseits auch, Reformen gutzuheissen, die das tägliche Leben der Menschen verbessern. Nicht im Sinn von munizipalistischer Sozialdemokratie, das wäre ein Missverständnis, sondern als «antagonistischer Reformismus», der die Institutionen verändere. Und schliesslich müssten wir unsere Gegenmacht nutzen, um unsere Errungenschaften (die Commons) auch institutionell zu sichern.
«Es liegt kein Verdienst in Reinheit und Marginalität!», brachte es Karyotis auf den Punkt. Stattdessen sollten wir versuchen, ein inklusives und diverses «Wir» aufzubauen. Dieses könne nicht homogen sein, denn wir seien nicht alles Arbeiter*innen und wir seien nicht alles soziale Ökolog*innen. «Eine soziale Revolution wird nicht möglich sein, wenn sich nicht eine kritische Masse selber darin wiedererkennen kann», unterstrich Theodoros Karyotis. Der Prozess sei notwendigerweise messy (unordentlich) und die Widersprüche könnten nicht alle vor der Revolution gelöst werden. Wichtig sei jetzt, die Ideen von Selbstverwaltung und Commons in die politische Debatte einzubringen. «Der Graswurzel-Ethos ist viel populärer, als wir denken – wir strengen uns nicht genug an, ihn an die Öffentlichkeit zu bringen!», schloss Karyotis.
Yavor Tarinski10 gab anschliessend eine Übersicht über die jüngere historische Tradition der (direkten) Demokratie, ausgehend von C. L. R. James. Dazu zählen unter anderem die pan-afrikanische Bewegung11, die karibische Bewegung12 oder Beispiele aus post-sowietischen Ländern wie Bulgarien. Tarinski erwähnte ferner die Haitische Revolution (die sich leider zum Schlechten wandte), die Räte in der Libanesischen Revolution 1971, die internationalistischen Brigaden in Griechenland 1821 (lange vor der Spanischen Revolution!), Föderationen von selbstverwaltwtwen Kommunen in Russland, die Kommunen im bulgarischen Aufstand in den 1870er-Jahren, die faszinierende Geschichte der Kommune in den Bergen von Strandzha13 im Jahr 1903 oder die Arbeiter*innenräte in der Ungarischen Revolution von 1956. Diesen historischen Beispielen ist gemeinsam, dass die damaligen Akteur*innen den lokalen Gemeinschaften nicht einfach ihre Ideologie auzwingen wollten, sondern Raum für Selbstverwaltung schufen. Die Akteur*innen der Makhnovshchina oder der Strandzha-Kommune hätten die befreiten Dörfer nicht regieren wollen, so Tarinski, sondern ihnen gesagt: «Macht es selbst!»
Wenn an der TRISE-Konferenz keine abschliessende Einigkeit14 über munizipalistische/kommunalistische Strategie erzielt werden konnte, so gaben die Positionsbezüge doch eine hilfreiche Leitlinie, entlang der sich die Debatte über kommunalistische Politik in Zukunft weiterentwickeln kann.
Natur, Dekolonialisierung … und alles Weitere
Weil es an dieser Stelle nicht möglich ist, alle Referate wiedergeben, seien nur einige Themenkomplexe erwähnt. (Ein Blick ins Programm für eigene, weitere Recherchen sei wärmstens empfohlen, ausserdem sind Videos der Vorträge verfügbar – siehe unten!)
An der Konferenz wurde viel über die Erfahrungen in Kurdistan diskutiert. Die Akademie der Demokratischen Moderne (ADM) erklärte die Konzepte von Demokratischem Konföderalismus, Demokratischer Autonomie und Demokratischer Nation, ausserdem gab es eine Einführung in Jineolojî und Tekmîl, und am ersten Abend wurde der Film Belkî Sibê gezeigt, mit anschliessendem Q&A mit dem Filmemacher Alexis Daloumis, der 2016/2017 in Rojava gegen den IS gekämpft hat und seine Erlebnisse mit der Kamera festhielt. Die Diskussion drehte sich unter anderem um das Verhältnis der kurdischen Bewegung zur LGBT+-Bewegung: So erzählte Alexis Daloumis über die Hintergründe zur internationalistischen Brigade, die 2017 mit ihrem Banner «These faggots kill fascists» viral gegangen war, was einige Irritationen auslöste. Daloumis, wie auch anderntags ein Vertreter der ADM, sind der Ansicht, dass die kurdische Bewegung zurzeit eher eine konservative Einstellung zur LGBT+-Bewegung habe, aber dass es eine Generationensache sei, und dass sich dies in Zukunft verändern werde.
Zum Thema Dekolonisierung sprach unter anderem Matthew Tafoya. Als Vertreter der Navajo Nation beleuchtete er das Phänomen des «Nation Building», also die Selbstorganisierung der indigenen Stämme seit dem Selbstbestimmungsgesetz von 1975. Während manche Stämme selber imperialistische Praktiken reproduzieren (z. B. Ölwirtschaft), streben manche nachhaltigere Lösungen an, beispielsweise bei der Energieproduktion, Ernährung, Wohnraum und Wirtschaft. Soziale Ökologie sei ein Modell, um das Reservat neu zu gestalten, aber es gebe viele Wege.
Sinead D’Silva erzählte vom Kampf gegen ein Autobahn-, Zug- und Stromleitungsprojekt in Goa, das mit Waldzerstörung und Beeinträchtigung von Natur und Menschen einhergeht. Strategien sind Community Organizing und öffentliche Bildung, was wegen der Repression oft in anonymer Form geschieht, und mithilfe von Zines. Ein Vorteil ist, dass eine kommunalistische Tradition tief in der Bevölkerung verankert ist. Dies äussert sich unter anderem in Panchayati (formalisierte munizipalistische Regierungsform in ländlichen Gegenden) und Gaonkari (ein Commons-Kodex). Sinead D’Silva: «Die Beziehung zum Land und die Verpflichtung, dafür zu kämpfen, wird nicht einmal infrage gestellt!»
Vom Kampf gegen Extraktivismus in der biodiversitätsreichen Gegend von Intag, Ecuador, berichtete Katerina-Shelagh Boucoyannis. Ein Gegenmodell zur kolonialistischen «grünen Transition» seien lokale Lösungen wie ein gemeinschaftbasiertes Energie- und Wasserscheide-Management mit kleinen Wasserkraftwerken.
«Matriarchal studies», also die Forschung über matriarchale Gesellschaften und ihre Werte, wie auch die Bewegung der maternalen Geschenkökonomie waren ebenso Thema wie die Rolle von Schafhirten in einem integralen Landschaftsmanagement, oder eine intentional community (Kommune) in Missouri. Einige wenige Präsentationen standen etwas quer zum übrigen Programm, etwa ein Beitrag über Steueranreize für mehr Nachhaltigkeit.15 Begrüssenswert ist aber auf jeden Fall, dass diese Konferenz – und damit die soziale Ökologie als Bewegung – offenbar immer mehr Beachtung findet und eine Vielzahl von Menschen anzieht, von Akademiker*innen bis zu Praktiker*innen.
Fazit: eine diverse und inklusive Bewegung aufbauen
Den Verantwortlichen von TRISE und der lokalen Organisationsstruktur in Athen ist es gelungen, einen Raum für Dialog und den Austausch von Theorie und Praxis zu öffnen. Solche transnationalen Konferenzen sind von unschätzbarem Wert, um Akteur*innen miteinander zu vernetzen und Praxiswissen zwischen den Territorien hin und her zu tragen.
Jedenfalls hat die soziale Ökologie im europäischen Raum mit dieser Konferenz einen weiteren Schritt nach vorne gemacht. Ein von vielen geteilter Wunsch drängt immer mehr an die Oberfläche: im Angesicht der zunehmenden Krisen eine gemeinsame, aber dezentralisierte, autonome und sich ständig weiter entwickelnde Bewegung16 aufzubauen, die divers und inklusiv ist – und das Potenzial hat, der kapitalistischen Moderne im Rahmen einer Dual-power-Situation entgegenzutreten.
Text: -md, Netzwerk für Kommunalismus
Fotos: Greek Libertarian Journal & Website www.aftoleksi.gr
Programm der TRISE-Konferenz 2024 in Athen: https://trise.org/2024/10/12/trise-conference-program/
Videos: https://trise.org/2024/10/29/video-recordings-from-our-2024-conference/
Noch sind nicht alle Kosten der Konferenz gedeckt (Stand: Anfang November 2024). Hier geht es zum Crowdfunding.
1 Natalia Mamonova berichtete über die «stille Ernährungssouveränität» in der Ukraine: eine nachhaltige Praxis, die Teil des Alltags ist, nicht etwas Spezielles. Seit dem Angriff von Russland zeige sich, dass die neoliberale industrielle Landwirtschaft ein Riese auf tönernen Füssen sei. Sie sei extrem verwundbar, wenn die Lieferketten zusammenbrächen. Kleinbauern, die während der Sowjetzeit als «ineffizient» verunglimpft wurden, könnten ihre Felder trotzdem pflügen. Es sei jedoch schwierig, sie für fremde, abstrakte Konzepte wie Ernährungssouveränität zu gewinnen. Sie wünschten sich keine Revolution, sondern Stabilität, auch wenn das lediglich eine bessere Integration ins neoliberale System bedeute. Deshalb empfiehlt Natalia Mamonova, solche Gruppen nicht mit radikalen Vorschlägen anzusprechen, sondern bestehende, kulturell anerkannte nachhaltige Praktiken zu fördern. Eine interessante Parallele in dieser Hinsicht zog Natalia Mamonova zu den diesjährigen Bäuer*innenprotesten in Europa. Zuerst hätten Gross- und Kleinbäuer*innen gemeinsam protestiert, aber die Politik habe nur die Grossen gehört und Regulierungen, die Akkumulation verhindern, abgeschafft. Daraufhin zogen sich die Kleinen (z. B. die bei Via Campesina organisierten), die für mehr Nachhaltigkeit waren, zurück. Eine konkrete Strategie für den Umgang mit den europäischen Bäuer*innenprotesten präsentierte Natalia Mamonova zwar nicht, warnte aber davor, dass die Grenzlinie zu einem nationalistischen Diskurs sehr schmal sei.
2 «Let’s make waste revolutionary again»: Federico Venturini skizzierte in seinem Referat, wie Abfallbewirtschaftung aus sozial-ökologischer Perspektive aussehen könnte. Von der Erkenntnis, dass Recycling nicht genügt und eine Kreislaufwirtschaft nötig ist («In der Natur gibt es keine Abfalldeponien»), ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Infragestellung der Machtverhältnisse und unserer Produktions- und Konsumweise. Und von dort aus ist der nächste Schritt, über neue Gesellschaften jenseits des Kapitalismus nachzudenken.
3 Der Titel der Konferenz lautete «The Politics of Social Ecology: From Theory to Praxis» («Die Politik der sozialen Ökologie: von der Theorie zur Praxis»), https://trise.org/2024/10/12/trise-conference-program/
4 Jere Kuzmanić redete über anarchistische Einflüsse in der Stadtplanung, von Kropotkin, Reclus und Mumford (Letzterer wurde in mehreren Referaten erwähnt) bis zu Bookchin oder Giancarlo De Carlo. Pijatta Heinonen präsentierte ihre Studie über bauliche Strukturen in autonomen Camps und Besetzungen und die damit verbundenen Praktiken (Plena, Arbeitsgruppen, Selbstorganisation, Konfliktlösung, Skillsharing). Ihre Forschung zeigt, wie urbane Planung aussehen kann, wenn die Hürden des Privateigentums abwesend sind. Oft gilt: «Wenn ein Ort leer ist, kannst du es machen» und wenn sich Bedürfnisse ändern, können gemeinschaftliche Räume flexibel umgenutzt werden.
5 Mehrere Beiträge befassten sich mit Commons. Stavros Stavrides redete über Commoning-Prozesse, beispielsweise in Lateinamerika, Neapel oder Athen. Unter anderem unterschied er zwischen öffentlichem Raum und gemeinsamem Raum (common space). Letzterer wird von den Menschen erzeugt und offen gehalten, verlässt sich aber nicht darauf, dass der Staat ihn garantiert.
6 Georgios Poulados z. B. plädierte dafür, dass verschiedene Gruppen wie Feminist*innen und Arbeiter*innen, jüngere und ältere Menschen mit ihren verschiedenen Ideen, sich im Sinn von unity in diversity vereinen: «Differenzen führen zu Zusammenstössen; der einzige Weg zu einer Lösung ist: diskutieren.»
7 Floréal M. Roméro ist eine treibende Kraft im Aufbau einer sozial-ökologischen und kommunalistischen Bewegung in Frankreich und Spanien. Er ist Autor des einflussreichen Buches Agir ici et maintenant (2019) und Co-Autor, zusammen mit Vincent Gerber, von Murray Bookchin et l’écologie sociale libertaire (2020).
8 Der kanadische politische Aktivist und Verleger Dimitrios I. Roussopoulos ist Mitgründer von TRISE, aber vor allem bekannt durch den Buchverlag Black Rose Books und sein Engagement für politische Bewegungen. In Montréal setzt er sich für politische Dezentralisierung und radikal-munizipalistisches Community Organizing ein. Er war in die Gründung des Projekts Milton Park involviert und war ein Vertrauter von Murray Bookchin.
9 Selbstverständlich ist, wenn es um Munizipalismus geht, eine Verankerung in den ausserinstitutionellen, sozialen Bewegungen unabdingbar. Das war/ist auch bei den munizipalistischen Erfahrungen in Spanien und anderswo ganz stark der Fall. Weitere Informationen zum aktuellen Munizipalismus sind unter anderem beim European Municipalist Network (EMN) und bei Fearless Cities zu finden.
10 Artikel und Texte von Yavor Tarinski sind hier zu finden: https://towardsautonomyblog.wordpress.com/ und https://theanarchistlibrary.org/category/author/yavor-tarinski
11 Auch der amerikanische Autor Modibo Kadalie steht laut Yavor Tarinski in dieser demokratischen Tradition.
12 Siehe auch: Quest, Edwards: Workers‘ Self-management in the Caribbean. The Writings of Joseph Edwards. On Our Own Authority! Publishing. 2014.
13 https://towardsautonomyblog.wordpress.com/2022/06/06/the-commune-and-the-balkans-the-case-of-bulgaria/
14 Eine weitere interessante Debatte, eher begrifflicher Natur, entspannte sich zum Wort «Hegemonie». Wenn wir die aktuelle, kapitalistische Hegemonie im Sinn der sozialen Ökologie überwinden wollen, ist das dann eine Non-Hegemonie oder eine vielmehr Gegen-Hegemonie?
15 Themen, die nicht zum sozial-ökologischen «Kanon» gehören, sind aber unbedingt auch als Bereicherung zu sehen – sofern sie nicht den basalsten Prinzipien zuwiderlaufen. Ein Beitrag, der etwas aus der Rolle fiel, aber interessante Ansatzpunkte gab, war beispielsweise derjenige von Zdravko Saveski über direktdemokratische Online-Abstimmungen, kombiniert mit deliberativer Demokratie. Im anschliessenden Q&A wies eine Person darauf hin, dass deliberative Demokratie (z. B. Bürger*innenforen) zurzeit stark diskutiert werden, beispielsweise am kürzlichen Athens Democratic Forum, und dass jetzt der beste Moment sei, um in diese Debatte einzugreifen.
16 Ein Vorbild könnte unter anderem Les soulèvements de la Terre sein. Ewan Jenkins diskutierte in seinem Beitrag die «Komposition» (engl. composition) von sozialen Bewegungen. Seit der De-Komposition des Proletariats nach 1968 sei das Problem, dass eine soziale Einheit und ein politisches Subjekt fehle. Ewan Jenkins (auch mit Bezug auf Negri oder Agamben) nannte einige unbefriedigende oder gescheiterte Versuche, etwa bei der ZAD von Notre-Dame-des-Landes, die eine «falsche Einheit» von autonomen Radikalen und Liberalen gewesen sei. Occupy habe gezeigt, dass eine Multitude, die Versammlungen abhalte, nicht genüge. Als positives Beispiel einer geglückten Komposition nannte er Les soulèvements de la Terre. Nachdem sich die Umweltaktivist*innen mit lokalen Wasserkämpfen (gegen die méga-bassines) zusammengeschlossen hätten, sei die Bewegung riesig geworden. In dem dezentralen, «rhizomatischen» Netzwerk würden sich Autonome, Landwirt*innen, Klimaaktivist*innen und sogar EU-Politiker*innen wiederfinden. Jenkins stellte zum Schluss die Frage, ob sich in diesem Kontext ein neues Subjekt herausbilden könnte: «Die Natur, die sich selber verteidigt.» (Anmerkung: Aufgrund des zeitlich knappen Formats gab es dazu keine ausführliche Diskussion, aber die von Jenkins aufgeworfenen Gedanken haben sicher Anknüpfungspunkte an die soziale Ökologie, etwa zu ihren Konzepten «unity in diversity», «general/particular» (Chaia Heller) oder der Gesellschaft als «nature rendered self-conscious».)