Der folgende Text ist im März 2024 entstanden und an verschiedene Organisationen und interessierte Personen versandt worden.
In der Linken herrscht eine augenscheinliche Orientierungslosigkeit. In der breiteren Wahrnehmung gibt es nur die Option, sich zwischen den Polen Reformismus und autoritärer Kommunismus zu entscheiden. Für viele ist diese Alternative aus guten Gründen unattraktiv. Unserer Meinung nach fehlt ein dritter Pol, der die basisdemokratischen Bewegungen zusammenfasst, die existieren und wertvolle Arbeit leisten, aber nur wenig wahrgenommen werden. Wir glauben, dass die Idee des «Kommunalismus» geeignet ist, eine solche Polbildung zu schaffen. Es handelt sich um ein relativ einfaches und offenes Konzept, dass uns unter Beibehaltung unserer eigenen jeweiligen Schwerpunkte und Gewichtungen als gemeinsamer Nenner dienen kann.
Wir* laden euch ein, am 25.4.2024 um 19.30 Uhr mit uns zu diskutieren.
Die Veranstaltung findet online statt. Anmeldung: kommunalismus.org
Themen:
- Wie können wir einen breiten Diskursraum über Basisdemokratie als politische Strategie eröffnen?
- Wie können sich bestehende Initiativen gegenseitig unterstützen, ihre Kräfte bündeln und öffentlichkeitswirksam wahrgenommen werden?
- Wie können wir die Organisierung in den Quartieren, Städten und Regionen in einer revolutionären Perspektive fördern?
- Was könnten gemeinsame Werte sein?
- Welche Organisationsformen scheinen uns geeignet für eine kommunalistische Polbildung?
- Wie können wir in die Dynamik der aktuellen Proteste intervenieren und daraus Kraft gewinnen? . . .
* Wir sind ein bei verschiedenen Treffen entstandener Zusammenhang, der sich dem Netzwerk für Kommunalismus verbunden fühlt, das schon seit längerer Zeit existiert.
Für die Bildung eines kommunalistischen Pols! Für eine breite kommunalistische Bewegung!
Was verstehen wir unter Kommunalismus?
Der Kommunalismus strebt eine Gesellschaft an, die auf kommunalen Vollversammlungen und Räten aufgebaut ist.
Aufgrund der Überzeugung, dass die Menschen fähig sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und kollektiv zu gestalten, ist die lokale Ebene der wichtigste Ort, an dem politische Entscheidungen getroffen werden. Alternativ wird auch von Basisdemokratie oder Selbstverwaltung gesprochen.
In diesem Sinn ist auch die Praxis der Stadtteilarbeit und der Basisorganisierung kommunalistisch, selbst wenn sich die entsprechenden Gruppen nicht explizit so bezeichnen. «Kommunal» kann, je nach örtlichem Kontext, die Quartiers-, Bezirks-, Stadt- oder Dorfebene sein.
Der Begriff des «Kommunalismus» wurde zuletzt vor allem durch Murray Bookchin (1921-2006) geprägt. Die lebendige Bewegung ist jedoch älter und geht über ihn und sein Werk hinaus. Sie umfasst historische Beispiele wie die Pariser Kommune von 1871 und aktuelle Bewegungen wie die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien (Rojava).
Überregional und transnational koordinieren sich die Kommunen in der Form von Konföderationen.
Alternative Begriffe für Konföderation sind: «Kommune der Kommunen» oder «Vollversammlung der Vollversammlungen». Die Konföderation wird als Gegenmodell zu Nationalstaat und repräsentativer Demokratie angesehen. Daraus ergibt sich eine revolutionäre Dual-Power-Strategie und so zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Staat um Organisationskraft und Legitimität.
Kommunalismus ist antiautoritär, antikapitalistisch und richtet sich gegen jede Form von Herrschaft.
Staat, Zentralismus, Top-down-Regierung, Klassenherrschaft, Patriarchat, LGBTIAQ+-feindlichkeit, Rassismus, (Neo-)Kolonialismus, die Ausbeutung der Natur und andere Herrschaftsformen werden in intersektionaler Perspektive analysiert und abgelehnt.
Kommunalistische «Politik» ist die kollektive Praxis direktdemokratischen Debattierens und Handelns.
Politische Freiheit bedeutet, als Teil eines Kollektivs gemeinsam politische Entscheidungen zu treffen. Dies ist eine Praxis, die eingeübt werden muss und deshalb auch eine gewisse Fehlertoleranz erfordert. Es handelt sich um eine bewusste Abkehr vom üblichen Politikbegriff, der auf Bürokratie, Parteiinteressen, Elektoralismus und repräsentativer Demokratie (als Vertretung und Abdankung) beruht. Das heißt nicht, dass es in kommunalistischen Bewegungen keinen Platz für parteiähnliche Organisationen gibt. Sie können eine wichtige Rolle spielen, aber sie sind basisdemokratisch aufgebaut und besitzen keine politische Entscheidungsmacht. Diese bleibt in den Vollversammlungen.
Kommunalismus hat eine ökologische Dimension.
Ökologie wird im Kommunalismus nicht lediglich als Umweltschutz und «Nachhaltigkeit» verstanden, sondern politisch. Da die Herrschaft von Menschen über Menschen und die Idee der Herrschaft über die Natur als untrennbar miteinander verknüpft begriffen werden, ist hier von vornherein die Rede von «sozialer Ökologie».
Umwelt- und Klimagerechtigkeitskämpfe, deren Praxis auf einer solchen Theoriegrundlage fußt, sind besser darauf vorbereitet, eine wirkliche sozial-ökologische Transformation zu erreichen und nicht in die Fallen von bloßer Symbolik, Appellen zur Mäßigung und Rekuperation durch das kapitalistische System zu tappen.
Ein gutes Beispiel für Umwelt- und Klimagerechtigkeitskämpfe im kommunalistischen Sinn sind Waldbesetzungen, die territoriale und basisdemokratische Aspekte miteinander verbinden.
Kommunalismus hat eine feministische Dimension.
Historisch sind soziale Ökologie und Kommunalismus eng mit feministischen Bewegungen verbunden. So werden am Institute for Social Ecology (ISE) bis heute regelmäßig Kurse zu sozialem Ökofeminismus angeboten. In der Theorie von Murray Bookchin bildet die Analyse des Patriarchats einen wichtigen Eckstein, um die Funktionsweise vieler heutiger Gesellschaften zu erklären.
Kommunalismus hat eine ökonomische Dimension.
Kommunalist*innen fordern eine Wirtschaft, die nicht Profit, sondern Sorgearbeit und die Erfüllung von Bedürfnissen ins Zentrum stellt. Ziel ist das «gute Leben für alle». Der Kommunalismus strebt eine Wirtschaft an, in der die Produktion und Reproduktion basisdemokratisch geplant wird. Das kann je nach örtlichem Kontext durch Vollversammlungen, kommunale Räte oder auch Arbeiter*innenräte geschehen. Der Kommunalismus weist deshalb große Schnittmengen mit Anarchosyndikalismus, Rätekommunismus, autonomen, basisdemokratischen Arbeiter*innenbewegungen sowie Especifismo, anarchokommunistischen und plattformistischen Bewegungen auf.
Kommunalismus schafft basisdemokratische Institutionen.
Die Transformation der Gesellschaft (System Change) wird als soziale Revolution verstanden. Diese besteht primär darin, basisdemokratische Strukturen und Institutionen als «Formen der Freiheit» (Murray Bookchin) aufzubauen und zu festigen.
Kommunalismus agiert innerhalb und außerhalb von Institutionen.
Kommunalismus richtet sich an den bereits umrissenen Prinzipien aus, ist jedoch bewusst nicht abgeschlossen oder dogmatisch. So kommt es, dass nicht alle Kommunalist*innen die Strategie des «libertären Munizipalismus» oder andere Munizipalismen befürworten, die eine Teilnahme an Lokalwahlen beinhalten. Obwohl es viele munizipalistische Erfahrungen gibt, die Mut machen, gibt es Kommunalist*innen, die sich ausschließlich auf den außer-institutionellen Weg konzentrieren.
Wir denken, dass der Begriff des «Kommunalismus» geeignet ist, nicht-reformistische basisdemokratische Bewegungen zu einer vielfältigen Einheit zusammenzufassen und als solche sichtbar werden zu lassen.
Deshalb rufen wir euch auf: Vernetzen wir uns, um einen breiten Diskurs über «Kommunalismus» entstehen zu lassen und die Bildung eines kommunalistischen Pols zu befördern!
Schaffen wir ein attraktives Angebot, das basisdemokratisch eingestellten Einzelpersonen und Gruppen die Möglichkeit gibt, sich als Teil einer gemeinsamen Bewegung zu verstehen und zu engagieren!
Illustration: clark-van-der-beken / Unsplash