Der Deutsche Bauernkrieg spielt eine wichtige Rolle in der revolutionären Geschichtskonzeption von Murray Bookchin. Die Aufstände markierten einen Wendepunkt: Soll die Gesellschaft auf der direktdemokratischen Kommune aufbauen, in der Gleichwertige ihre Bedürfnisse erfüllen, oder soll die Macht im kapitalistischen Staat zentralisiert werden? Die Bäuerlichen von 1525 wollten die kommunale Lebensweise bewahren – nicht rückwärtsgewandt, sondern als «Erinnerung nach vorne» (Schibel). Trotz ihrer Niederlage ist die «Revolution des Gemeinen Mannes» (Blickle) ein Vorbild, auf das sich die heutige Linke positiv beziehen kann. Bookchin stellt die historischen Ereignisse in den Kontext der revolutionären, konföderalistischen Tradition.
Murray Bookchin stellt die Bauernrevolten im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit an den Beginn seines monumentalen vierbändigen Geschichtswerks «The Third Revolution» (1996–2005). Dieses Werk zeichnet die westliche revolutionäre Tradition nach, die unter anderem die Französischen Revolutionen, die Russische Revolution und die Spanische Revolution von 1936–1939 umfasst. Mit seinem Spätwerk gab Bookchin den heutigen Linken ein Geschichtsnarrativ in die Hand, auf das sie sich selbstbewusst beziehen können.
Unter dieser Optik muss auch Bookchins Behandlung des «Deutschen Bauernkriegs» von 1525 gesehen werden. Die Aufstände nehmen in Band 1 von «The Third Revolution» beträchtlichten Platz ein: denn im Vergleich zu vorangehenden Revolten war der Bauernkrieg ein Ereignis von einer Dimension, die bisher nie erreicht worden war. Er kann als Ausdruck einer tiefliegenden, widerständigen Strömung gesehen werden, die immer schon da war und sich punktuell immer wieder äusserte. Bookchin nannte diese Strömung «the legacy of freedom», das Erbe der Freiheit, die im Gegensatz zur «legacy of domination», dem Erbe der Herrschaft, steht. Insbesondere für Linke im deutschsprachigen Raum ist es interessant, den Bauernkrieg in Bookchins Optik zu sehen, das heisst: nicht als singuläres und sinnloses Ereignis, sondern als ein «Scheitern nach vorne»i. Das Aufbegehren der bäuerlichen Leute 1525 – im damaligen Sprachgebrauch «Aufruhr» und «Empörung» – steht in einer Tradition des Widerstands, die nie verschwunden ist, auch wenn sie vom bürgerlichen Geschichtsnarrativ verschleiert wird.
Politische Narrative
Bookchin – und Peter Blickle, der Historiker, auf den er sich am meisten bezieht – waren sich durchaus bewusst, dass der Bauernkrieg, je nach der eigenen politischen Einstellung, unterschiedlich interpretiert werden kann. Zusammenfassend können zwei grosse Narrative ausgemacht werden. Das eine ist die realsozialistische Auslegung, die im Bauernkrieg einen Vorläufer einer sozialistischen Revolution und Ausdruck des Klassenkampfes sieht, eingebettet in das Geschichtsbild des dialektischen Materialismus, das oft eine zwangsläufige Entwicklung annimmt. Das andere Narrativ ist das liberale, staatstragende, heute immer noch gängige Narrativ, das etwa so lautet: Die Bauern seien zwar im Recht gewesen, dass sie sich gegen den Feudalismus auflehnten, aber sie waren zu ungestüm, zu blutrünstig, und ihr Unterfangen war sowieso sinnlos; aber nach der Niederschlagung sei es zu Kompromissen gekommen, was schliesslich, nach weiteren Umwegen, die heutige Ordnung eingeläutet habe – das System von Nationalstaaten, repräsentativer Demokratie, Schutz des Privateigentums und Kapitalismus, sprich, zur kapitalistischen Moderne. Und in diesem Sinn wird aus liberaler Warte durchaus positiv an den Bauernkrieg erinnert, was jedoch einer Vereinnahmung gleichkommt.
Im zeitlichen Umfeld des 450-Jahre-Jubiläums von 1975 kritisierte Peter Blickleii verschiedene Interpretationslinien, und zeigte, wie der Bauernkrieg für für Nationalismus, Sozialismus und Liberalismus nutzbar gemacht wurde. Demgegenüber legte er ein eigenes, neues Narrativ vor: den Bauernkriegiii als «Revolution des gemeinen Mannes».iv Sein grosser Beitrag war, dass er die passiven Untertanen zu historischen Subjektenv machte. Das allein ist ein Geschenk für alle, die den Bauernkrieg aus linker Perspektive verstehen möchten (auch wenn Blickle selber nicht als «links» einzuordnen ist).
Utopische Potenzialitäten
Bookchin geht hier noch einen Schritt weiter. Während Blickle den Ausgang der Revolution vor allem im Hinblick auf die modernen Menschen- und Bürgerrechte liest (womit er nicht unrecht hat)vi, versucht Bookchin, die utopisch-revolutionären Potenzialitäten «herauszukitzeln». Bookchins «utopisches» Geschichtsverständnis besagt, dass der Verlauf der Geschichte keineswegs notwendig ist und der heutige Zustand keineswegs alternativlos ist. Das gilt sowohl für die realsozialistische, als auch für die liberale Auslegung des Bauernkriegs. Aus den Ansätzen, Überlegungen, Träumen und Utopien von damals lassen sich Alternativen (re-)konstruieren, wie Gesellschaft – damals, heute und in Zukunft – auch aussehen könnte. Anstatt in kapitalistischen Nationalstaaten könnten wir heute auch in Konföderationen von freien Kommunen leben.
Womit zwei wesentliche Stichworte genannt sind: Kommune und Konföderation.
Die Freiheit der Gemeinde
Die Gemeinde oder Kommune bedeutet für Blickle die «Freiheit des gemeinen Mannes», für Bookchin ist die Kommune die unmittelbarste politische Sphäre, in der alle Entscheidungen des Zusammenlebens direktdemokratisch getroffen werden. Dabei muss beachtet werden, dass der Bauernkrieg keine Revolution von Individuen war, sondern von kommunalen Kollektiven. Basisdemokratievii war für die Bauern der gewohnte Modus gesellschaftlicher Aushandlungen. Als Subsistenzwirtschaftende waren sie geübt darin, kollektiv über die Nutzung des Landes und der anderen Commons zu entscheiden.
Eine schöne Beschreibung der Kommune liefert Karl-Ludwig Schibel, der sich auf Blickle bezieht und mit Bookchin befreundet war:
«In den zweieinhalb Jahrhunderten von der Mitte des 13. bis in das frühe 16. Jahrhundert gelangt die Kommune in der Form der Dorf- und Stadtgemeinde zu hoher Blüte, anfangs in einem geduldeten Wechselverhältnis zu der anderen, der feudalen Vergesellschaftungsform. [In der Dorfgemeinde] regeln die Dorfgenossen in der Gemeindeversammlung als Gleichwertige in einem von der feudalen Herrschaft «freien» Raum […] ihre gemeinsamen Angelegenheiten. Im späten 15. und 16. Jahrhundert gerät die Gemeinde in wachsenden Widerspruch zur sich ausbildenden Territorialherrschaft. In der Revolution von 1525, dem Bauernkrieg, kommt es zum epochalen Kampf, in dem die Kommune eine vernichtende Niederlage erleidet.»viii
In der Dorfgemeinde organisierten die Bauern «herrschaftsarme Räume in Selbstverwaltung» und in der Gemeindeversammlung hatte jeder Anwesende die gleiche Stimme. «Ordnungsprinzip im Dorf als ganzem war die horizontale Zuordnung von Menschen, die grundsätzlich als gleichwertig galten.»ix
Aus der Tatsache, dass die Gemeindebildung am Ende des Mittelalters («Kommunalisierung» oder «Kommunalismus» als geschichtstheoretischer Begriff, nicht zu verwechseln mit der politischen Strömung des Kommunalismus) mit Aufständen einherging, folgert Peter Blickle, dass es «eine räumliche, zeitliche und sachliche Konkordanz von Gemeinde und Widerstand gibt. Der Widerstand ist gewissermaßen die Fortsetzung der Emanzipation der Gemeinde mit anderen Mitteln.»x
Im März 1525 tritt diese Bewegung des Widerstandes, der kommunalen Lebensweise und der Basisdemokratie in zugespitzter Form in Erscheinung: bei den Versammlungen der Bauernhaufen in Memmingen. Bookchin befasst sich eingehend mit den «Zwölf Artikeln», die damals zu Papier gebracht wurden und streicht den basisdemokratischen Gehalt heraus. Die Bauernhaufen seien mit demokratisch gewähltem Hauptmann und vier Räten genauso organisiert gewesen wie die Dorfkommunen: «Die dörfliche Form wurde effektiv auf die geteilte Kommandostruktur der militärischen Kräfte projiziert, worin sich die traditionelle Gesellschaft spiegelte, die es zu bewahren galt.»xi Er bemerkt aber auch, dass es andernorts weitere Artikel gab, die zum Teil radikaler waren, etwa in Sonthofen, im Elsass oder im Tirol (Bauernparlament bei Merano). Manche hätten neben Gleichheit vor dem göttlichen Recht auch ökonomische Gleichheit gefordert – ein Hinweis für Bookchin, dass die damalige Bewegung eben nicht so einfach ins bürgerliche Narrativ eingeliedert werden kann. Sie sei «so antibourgeois» gewesen, «wie sie anti-aristokratisch» gewesen sei.
Gemeinde-Werte: gegenseitige Hilfe und kollektive Landverwaltung
Allerdings ist auch Kritik an Bookchins Behandlung des Bauernkriegs in «The Third Revolution» angebracht. Er betreibt vor allem Ereignisgeschichtexii, indem er alle Schlachten minuziös aufzählt, entwickelt aber wenig eigene Gedanken dazu. Zwar herrscht diese Erzählweise im gesamten vierbändigen Werk vor, aber beispielsweise in den Teilen zur Russischen oder Spanischen Revolution sind seine geschichtstheoretischen Eigenleistungen viel ausführlicher. Dabei hätte Blickle genug Stoff geboten, den Bookchin hätte aufgreifen können, etwa im Kapitel «Der Gewalt der Gemeinde – kommunalistische Praxis und republikanische Theorie», wo er erläutert, dass der Bauernkrieg eine Revolution der Kommunen war, und die Macht und Souveränität stark bei den Gemeinden verortet. Die Gemeindeautonomie sollte gestärkt werdenxiii, womit nicht etwa geografische Mentalitätsunterschiede oder Eigenheiten gemeint sind, sondern die kollektive Freiheit der Gemeinden gegenüber der Obrigkeit (Adel und Klerus).xiv
Eine deutlichere Einordnung nimmt Bookchin in seinem Werk «From Urbanization to Cities» vor, dort vor allem in Auseinandersetzung mit der marxistischen Bauernkrieg-Interpretation.xv Er streicht heraus, dass es der Bauernschaft vor allem darum ging, die ländliche Gemeinde (Bookchin verwendet in seinem englischen Text das unübersetzte deutsche Wort «Gemeinde») vor feudalen, kommerziellen und klerikalen Übergriffen zu bewahren. Will heissen, die «organischen kommunalen Bindungen», das «traditionelle Dorf-Universum, das althergebrachte Werte, Institutionen und Lebensweisen wie auch Landbesitz umfasste». Bemerkenswert ist auch, dass sich Bookchin weniger mit Thomas Müntzer beschäftigt, als es andere (unter anderem marxistische) Autor*innen tun. In Müntzers «kommunistischen» Grundsätzen sieht Bookchin vor allem bäuerliche Traditionen wie gegenseitige Hilfe, Gleichheit und kollektiver Land- und Güterverwaltung artikuliert.
Dass kollektive Landwirtschaft und Basisdemokratie eng zusammenhängen, erläutert ein früherer Bookchin-Text, sein Essay «Radical Agriculture». Er beschäftigte sich nämlich nicht nur aus historischem Interesse am Bauernkrieg mit Landwirtschaft und bäuerlicher Gemeinschaft, sondern auch aus praktischen Gründen. Schliesslich war das von ihm mitgegründete institute for Social Ecology zeitweise auf einem Bauernhof beheimatet, wo Studierende und Aktivist*innen mit Biolandwirtschaft experimentierten. Der Schluss von «Radical Agriculture» nimmt die Schlussfolgerung vorweg, die Bookchin in seinen späteren Texten noch genauer untersuchen wird: «Der Kapitalismus begann historisch damit, dass er den Widerstand der traditionellen agrarischen Welt unterminierte und sie in die Marktwirtschaft zwang.»xvi
Konföderation statt Nationalstaat
Der zweite wichtige Begriff neben «Kommune» ist die Konföderation. In der «Bundesordnung», die zeitgleich mit den «Zwölf Artikeln» entstand, kommt eine andere Vorstellung von territorialpolitischer Organisierung zum Ausdruck: eine bündische oder konföderalistische. Auch hier hat Bookchin leider das Potenzial nicht ausgeschöpft, das bei Peter Blickle vorhanden wäre. Beipielsweise erwähnt Blickle mehrfach das «imperative Mandat» im Gegensatz zum «freien Mandat»xvii, ein eminent wichtiges Begriffspaar für Bookchin. Im Gegensatz zur heutigen, parlamentarischen Demokratie, wo die Repräsantant*innen das freie Mandat haben (also nicht an den Willen ihrer Wähler*innen gebunden sind, sondern nur an ihr Amt, und somit ihre Wahlversprechen brechen können, ohne dadurch ihr Mandat zu verwirken), gilt in Konföderationen das imperative Mandat, das heisst, die Delegierten dürfen nur einbringen, was ihnen von ihrer Basis aufgertragen wurde. Ein solches Modell funktioniert beispielsweise in Nord- und Ostsyrien (Rojava). In seinem Werk «From Urbanization to Cities», eines seiner Hauptwerke, setzt sich Bookchin intensiv mit Konföderationen auseinander, die im Verlauf der Geschichte immer wieder gebildet wurden. Schade, dass er beispielsweise nicht das dreistufige, konföderal organisierte Modellxviii erwähnt, das zur Zeit des Bauernkrieg in den betreffenden Gebieten verbreitet war und strukturelle Analogien zum Modell von Rojava aufwies.
Auch in einem späteren Buch (das nach «The Third Revolution» erschien), das den Titel «Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform» trägt, macht Peter Blickle zahlreiche Aussagen, die nahtlos in Bookchins Konzeption passen würden. Es würde sich anbieten, dieses zweibändige Werk aus der Perspektive von Bookchin zu lesen. Auch wenn Blickle «Kommunalismus» ausschliesslich als Epochenbegriff verstanden haben will, gibt er zahlreiche Beispiele dafür, wie Kommunalismus beziehungsweise Konföderalismus als politische Praxis funktioniert, etwa anhand des Walliser Landrats, der sich aus Vertretern der Gemeinden zusammensetzte.xix Die Gemeindeversammlung wiederum sei souverän in ihren Entscheidungen gewesen; sie habe die «unbegrenzte Zuständigkeit der Gemeindeversammlung im kommunalen Raum» genossen.xx
Blickles und Bookchins Darstellungen nähern sich einander an, wo sie den Ausgang des Bauernkrieges thematisieren. «Die Geschichte der Auflösung des Kommunalismus ist eine solche der zunehmenden Verstaatlichung und Individualisierung Europas»xxi, schreibt Blickle – Bookchin hätte es wohl ganz ähnlich formuliert. Das Verhältnis Gemeinde-Bürger (im Sinn von Gemeindemitglied) wich immer mehr dem Verhältnis Staat-Untertanxxii. Beide betonen, dass der Verlauf der Geschichte nicht zwangsläufig war – es hätte auch anders kommen können. Blickle sieht in den «Christlichen Vereinigungen» und «Landschaften» der Bauernkriegs-Zeit «Modelle
einer neuen Gesellschafts- und Herrschaftsordnung»xxiii. Karl-Ludwig Schibel sieht im Bauernkrieg ebenfalls einen Widerstand gegen «die Herausbildung des zentralisierten Territorialstaates».xxiv
Am Scheideweg – damals wie heute
2024 sind einige Bücher zum Bauernkrieg erschienen, die insofern zu kritisieren sind, als sie den revolutionären Gehalt des Bauernkriegs eher herunterspielen.xxv Sie gehen in dieser Hinsicht hinter Bookchin und Blickle zurück. Ihrer Ansicht nach war ein Grossteil der Bauern für Reformen, nicht für Revolution. Aber das ist, um mit Bookchin zu sprechen, die Sichtweise des «So war es», welche die damals real existierenden Potenzialitäten («so könnte es sein») übertüncht. Aktualisiert hat sich (leider) ein Geschichtsverlauf, der sich später zum Nationalstaatentum, zu repräsentativer Demokratie und individualistischem Liberalismus verdichtete. Ein latentes Potenzial, das damals real bestand, wird dabei übersehen: «bündische», «korporative» (Blickle), oder in Bookchins Terminologie «konföderalistische» (oder «kommunalistische»xxvi) Gesellschaftsentwürfe hätten sich genausogut aktualisieren können. Bookchin und Blickle geben genug Beispiele dafür.
Die Niederlage der Bauern kann deshalb als Scheideweg zwischen alternativen Gesellschaftsmodellen gewertet werden. Nach der Niederlage der Bäuerlichen war der Weg – leider – frei für den Siegeszug von Nationalstaat, Parlamentarismus und kapitalistischer Marktwirtschaft. Vorbei war die bäuerliche Selbstbestimmung, angesagt war die Unterordnung der Gemeinde unter den absolutistischen deutschen Fürstenstaat.xxvii
Die Utopien von 1525 können aber heutigen Linken Impulse und Motivation geben, um die aktuelle Situation der kapitalistischen Moderne zu schwächen und auf eine demokratische Moderne hinzuarbeiten. Was Karl-Ludwig 1985 schrieb, also vor genau 40 Jahren, klingt heute sehr zeitgemäss: «Ähnlich wie die europäische Gesellschaft des ausgehenden Mittelalters […] stehen auch wir an einem Wendepunkt, und ähnlich wie bei ihnen mehren sich bei uns die Zeichen nahenden Unheils. Wie sich herausstellen sollte, entsprang das Unheil, das 1525 die Bauern ereilte, keiner grausamen Natur, sondern der sich organisierenden Territorialherrschaft […]. Welche Alternativen es zu diesen Entwicklungen gab, ist heute eine müßige Überlegung, zwangsläufig und unvermeidlich waren sie sicher nicht.»xxviii Die heutige Gesellschaft leide unter dem, was durch die Zerstörung der Kommune verlorengegangen sei: «die Fähigkeit, selbsttätig im Umgang mit anderen die gemeinsamen Angelegenheiten zu organisieren und wahrzunehmen.»xxix
Um mit den Worten von Murray Bookchin zu schliessen: «Das 14. und 15. Jahrhundert markierte möglicherweise einen einzigartigen Wendepunkt für die westliche Menschheit. Die Geschichte schien an einem Wendepunkt angelangt zu sein: Die Gesellschaft konnte sich immer noch für einen Weg entscheiden, der zu einer bescheidenen Befriedigung der Bedürfnisse auf der Grundlage von Komplementarität und der Gleichheit von Ungleichen führte. Oder es könnte sich in den Kapitalismus mit seiner Regel der Äquivalenz und der Ungleichheit der Gleichen katapultieren, die beide durch den Warentausch und einen Kanon ›unbegrenzter Bedürfnisse‹ verstärkt werden, dem ›knappe Ressourcen‹ gegenüberstehen.»xxx
i Geschichte wird in der Regel von den Siegern geschrieben. Die Geschichtsschreibung der Sieger suggeriert, dass die Bauern quasi selber schuld an ihrer Niederlage waren. Ihre Anliegen seien rückwärtsgewandt und deshalb unzeitgemäss und unrealistisch gewesen. Dem widerspricht Karl-Ludwig Schibel, ein Freund Bookchins. Er hält die Sichtweise, dass die Forderung der Bauern 1525 nach der Wiederherstellung des «Alten Rechts» rückwärtsgewandt war, für falsch. Im Gegenteil, sie habe in die Zukunft gewiesen: «Die Bauern verharrten nicht im Vergangenen oder Bestehenden. In einem kurzen, sehr intensiven Lernprozeß wandelte sich ihre Klage auf das Alte Recht zu einer «Erinnerung nach vorwärts».» (Karl-Ludwig Schibel: Das alte Recht auf die neue Gesellschaft. Zur Sozialgeschichte der Kommune seit dem Mittelalter (1985), S. 28).
ii Peter Blickle: Die Revolution von 1525 (1975)
iii Sowohl der Begriff «Bauern» als auch der Begriff «Krieg» ist laut Peter Blickle eigentlich nicht zutreffend.
iv Eine bessere Formulierung wäre «Revolution der gemeinen Leute» oder einfach «Revolution der Gemeinen». Mit «Gemeinen» waren die Untertanen gemeint, die zu 90 Prozent aus bäuerlichen Menschen bestanden. Florian Hurtig schlägt den Begriff «die Bäuerlichen» vor (500 Jahre Bauernkriege, 2025).
v Peter Blickle: Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch. (1981)
vi Blickle nennt den Kommunalismus den «Wegbereiter des modernen Staates» (Kommunalismus II, S. 382), was Bookchins Argumentation zuwiederläuft. Die beiden treffen sich aber in der Feststellung, dass das Kommunals als «Urgestein des Politischen» zu sehen ist (ibid.). Aussderdem relativiert Blickle: «Damit soll keine Kontinuitätsthese von Kommunalismus zum Parlamentarismus, von der Gemeinde zum Staat herbeigeschrieben werden.» (ibid.). Bookchin stellt freilich einen absoluten Gegensatz zwischen Gemeinde und Staat her.
vii Siehe auch folgender Text der kampagne «500 Jahre Widerstand»: https://500jahre.org/2025/03/22/basisdemokratie-gegen-neo-feudalismus-zum-500-jahrestag-der-zwoelf-artikel/
viii Karl-Ludwig Schibel: Das alte Recht auf die neue Gesellschaft. Zur Sozialgeschichte der Kommune seit dem Mittelalter (1985), S. 10f.
ix Ibid., S. 41f.
x Peter Blickle: Die Gemeindereformation, S. 186.
xi Übersetzung: NfK. Murray Bookchin: From Urbanization to Cities, AK Press 2021, S. 169.
xiiAn dieser Stelle darf betont werden: Aus didaktischer Sicht kann Bookchins Schilderung des Bauernkriegs locker mit heutigen Werken mithalten oder übertrifft sie sogar in Bezug auf Verständlichkeit und Übersichtlichkeit – und dies auf relativ wenigen Seiten.
xiiiPeter Blickle: Der Bauernkrieg (1989), S. 99.
xiv An Bookchins Darstellung des Bauernkriegs in «The Third Revolution» kann ferner kritisiert werden, dass er den Ausgang allzu negativ sah («The princes achieved the absolute power they sought, while none of the peasants‘ demands were met.», Band I, S. 59 – eine diskussionswürdige Aussage.) Sein Fazit (ibid.): «In any case, the defeat of the peasants and the steady erosion of their democratic village communes foreclosed the possibility of a populist confederal German nation.» Was schliesslich, Jahrhunderte später, zum Autoritarismus des 19. und 20. Jahrhunderts geführt habe. In «From Urbanization to Cities» (AK Press, 2021, S. 170; Erstausgabe 1987 unter dem Titel «The Rise of Urbanization and the Decline of Citizenship») klingt er weniger negativ. Dort betont er eher das verpasste Potenzial und ruft uns dazu auf, uns mit der Geschichte zu beschäftigen. Die Frage nach Konföderalismus oder Nationalismus, Dezentralismus oder Zentralismus, libertäre Institutionen oder autoritäre, sei heute noch genauso brennend wie im 16. Jahrhundert, als die erschreckende Zukunft, auf die wir heute zusteuern (Atomkrieg, Umweltzerstörung) noch in weiter Ferne lag.
xv Murray Bookchin: From Urbanization to Cities, AK Press 2021, S. 168–170.
xvi Übersetzung: NfK. https://theanarchistlibrary.org/library/murray-bookchin-radical-agriculture
xvii z. B. hier: Peter Blickle: Die Gemeindereformation, S. 195.
xviii Peter Blickle: Die Revolution von 1525, S. 193: «Darüber ging die Revolution in der Tat weit hinaus, weil sie eine Alternative ansatzweise entwickelte: die korporativ-bündische Verfassung, die in Oberschwaben, dem deutschen Südwesten und dem Eisaß funktionierende ländliche und städtische Gemeinden in Haufen zusammenfaßte, diesen über ihre militärischen Aufgaben hinaus eine politische Funktion zuwies und sie schließlich föderativ im Bund der Christlichen Vereinigung zusammenführte. Konstruktiv war in diesem dreistufigen Staat die Konzeption des «Haufens», der überterritorialen militärisch-politischen Institution, die der Sache nach neu war, wie auch die hilflose Begriffswahl zeigt; die gemeindlich – genossenschaftliche Grundlage erwuchs aus lebendigen Traditionen, der bündische Gedanke war vorgeprägt in der Eidgenossenschaft, in den Städtebünden, im Schwäbischen Bund.»
xix Peter Blickle: Kommunalismus I, S. 156: «Deren Vertreter treten als nuntii, Ratsboten und Gesandte in Erscheinung und verfügtten über ein imperatives Mandat. Erst die Zustimmung der Korporationen, welche die Boten delegiert hatten, verlieh einem Abschied Rechtskraft.»
xx Peter Blickle: Kommunalismus II, S. 137.
xxi Peter Blickle: Kommunalismus II, S. 360.
xxii Peter Blickle: Kommunalismus II, S. 362.
xxiii Peter Blickle: Die Revolution von 1525, S. 147.
xxiv Karl-Ludwig Schibel: Das alte Recht auf die neue Gesellschaft. Zur Sozialgeschichte der Kommune seit dem Mittelalter (1985), S. 63.
xxv Andererseits greift z. B. Lyndal Roper ökologische und Commons-Aspekte auf, die im Zusammenhang mit Bookchin sehr interessant wären. Auch die basisdemokratischen Aspekte spielen bei ihr eine Rolle. (Lyndal Roper: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525 (2024) bzw. Lyndal Roper: Summer of Fire and Blood (2025) Gerd Schwerhoff verabschiedet sich von der Vorstellung, dass in den «Zwölf Artikeln» so etwas wie ein basisdemokratischen Meinungsbildungsprozess zu erkennen sei. (Gerd Schwerhoff: Der Bauernkrieg, 2024).
xxvi Peter Blickle unterscheidet – ähnlich wie Bookchin – a) die Gemeinde als selbst-konstituierten, willentlichen Zusammenschluss und b) die Gemeinde als unterste Verwaltungseinheit des Staates. Wenn von Kommunalismus die Rede ist, egal ob als geschichtstheoretischer oder als politischer Begriff, kann «Kommune» nur im ersten Sinn gemeint sein. Wie Blickle schreibt: «Kommunalismus entsteht dort, wo Arbeit und Siedlung konvergieren. Daraus entwickelt sich die Organisation von Alltag. Was sonst an Funktionen in der Gemeinde wahrgenommen wird, dient der Gewährleistung und Sicherstellung von Herrschaft und ist für den Begriff der Gemeinde irrelevant, weil diese Leistungen auch ohne Gemeinde erbracht würden. Wo nur herrschaftliche Ansprüche gesichert werden, mag in den Quellen von Gemeinde die Rede sein, kommunalistisch darf man sie jedoch nicht nennen.» (Peter Blickle, Kommunalismus II, S. 362).
xxvii Karl-Ludwig Schibel: Das alte Recht auf die neue Gesellschaft. Zur Sozialgeschichte der Kommune seit dem Mittelalter (1985), S. 95.
xxviii Karl-Ludwig Schibel: Das alte Recht auf die neue Gesellschaft. Zur Sozialgeschichte der Kommune seit dem Mittelalter (1985), S. 15.
xxix Ibid. S. 286.
xxx Murray Bookchin: Die Ökologie der Freiheit. Unrast, 2025, S. 325f.