Kiezkommune: basisdemokratische Selbstverwaltung im Hier und Jetzt

Reale Gegenmacht aufbauen, bedeutet für die Kiezkommune Magdeburg-Stadtfeld, aus der linken Szene auszubrechen und in der eigenen Nachbarschaft Strukturen aufzubauen: vom Spieleabend bis zum Gerechtigkeits-Komitee.

Der Aufbau von Kommunen und Räten in den Städten und Dörfern war das Thema des sechsten und letzten Teils der Veranstaltungsreihe “Die Kommune – Im Kampf die neue Gesellschaft aufbauen”. Ein Aktivist aus Magdeburg stellte sehr detailreich dar, wie die Kiezkommune Magdeburg-Stadtfeld die Menschen in der Nachbarschaft erreicht und mit ihnen zusammen eine reale Gegenmacht aufbaut.

Ein “Kiez” ist ein Quartier oder eine Nachbarschaft, eine “Kiezkommune” ist somit eine lokale Selbstverwaltungs-Struktur im Quartier. “Wir wollten nicht nur die linke Szene, sondern die Nachbarschaft erreichen”, erklärte der Aktivist. Die Kiezkommune erreicht dies über Arbeitsprojekte und Veranstaltungen, an denen sich alle beteiligen können, und über feste Komitees, die sich bestimmten Themen und Aktivitäten annehmen.

Die Aktivitäten, auch wenn sie im Kleinen beginnen, sollen im Hier und Jetzt ein Stück Autonomie ermöglichen, letztlich eine Unabhängigkeit vom Staat und von der kapitalistischen Ökonomie:

  • Nachbarschaftsladen
  • Kantine
  • Mieter*innenberatung
  • Lesekreis zu politischen Romanen (z. B. “1984” von Orwell – bewusst wird nicht Marx gelesen, weil nicht nur Linke angesprochen werden sollen, sondern einfache und attraktive Texte, die politische Diskussionen anreissen)
  • Spieleabende
  • Wintermarkt
  • Grillfest
  • “Kieztag” mit 400 Teilnehmenden
  • Ausflüge
  • Vorträge, Workshops (z. B. über patriarchale Gewalt oder über theoretische Grundlage und praktische Beispiele von Gegenmacht)
  • Kampagnen (z. B. für unbezahlte Parkfelder, die für alle zugänglich sind, oder ein anderes Projekt war, dass Bänke aufgestellt wurden, damit es mehr Sitzgelegenheiten hat)
  • Kleines, aber schönes Beispiel: Für eine 92-Jährige wurde eine Schachspiel-Partnerin gefunden.

Das “Kommunengefühl” steige, was wiederum immer mehr Leute anziehe, stellte der Aktivist fest.

Kommune und Komitees

Die Kommune ist basisdemokratisch und transparent strukturiert, unsichtbare Hierarchien sollen vermieden werden. Anfangs traf sich die Kommune alle zwei Wochen, aber weil das mit der stark steigenden Mitgliederzahl nicht mehr praktikabel war, wurden Komitees gebildet, die als Arbeitsgruppen bestimmte Themen bearbeiten. Eine Vorstufe der Komitees sind Mandate, das sind Aufgaben, die von einer oder zwei Person erledigt werden können. (Mandate werden in der Regel Gender-paritätisch besetzt.)

Zweimal im Jahr trifft sich die ganze Kommune zu einem Strukturtreffen, die Komitees treffen sich laufend, einmal pro Monat kommen die Delegierten der Komitees zusammen.

Eine spezielle Rolle spielt das Frauenkmitee: Es ist autonom, muss sich nicht vor der ganzen Kommune rechtfertigen und gibt monatlich Inputs, mit denen sich die Männer auseinandersetzen müssen.

Vorsorglich wurde ein Konfliktmandat eingeführt, um interne Konflikte zu regeln, beispielsweise mit Moderations-Techniken. Die Idee ist, das daraus später ein Gerechtigkeits-Komitee wird: Wie kann sanktioniert werden, ohne in staatliche Formen zu verfallen? Idealerweise würde später bei Konflikten in der Nachbarschaft nicht die Polizei gerufen, sondern das Gerechtigkeits-Komitee der Kommune.

Von Tür zu Tür gehen

Der Start der Kiezkommune war im November 2019. Die Initiant*innen hatten festgestellt, dass sie mit ihrer politischen Arbeit wie z. B. Demos keine wirklichen Erfolge erzielten und vereinzelt blieben. Deshalb beschlossen sie, sich in der Nachbarschaft zu organisieren. In der Coronazeit boten sie eine Coronahilfe an, verteilten Flyer und führten eine Quartierbefragung durch.

Bald zeigten sich die ersten Hürden: Von Tür zu Tür gehen und mit dem Menschen in der Nachbarschaft reden, braucht etwas Überwindung. Schon in den eigenen Häusern sei es schwierig gewesen, meinte der Referent: “Wir haben gemerkt, wie vereinzelt wir leben.”

Die Veranstaltungen werden so offen wie möglich gestaltet, manchmal buchstäblich mit offenen Türen, damit sich Menschen spontan dazugesellen können. Kommune-Mitglieder verteilen zudem aktiv Flyer und sprechen Leute an – etwas, das sie sich zuerst antrainieren mussten.

Dazu gehört auch die Ästhetik: Kleidung und Auftreten sollten nicht abschreckend wirken.

Wie der Referent erwähnte, besteht ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen einerseits: dem Organizing-Ansatz, der Nachbarschaftshilfe, wachsen, auf Leute zugehen, eine soziale Basis schaffen und andererseits: “die Revolution nicht aus den Augen verlieren”. Er empfiehlt, eine “einfache, aber radikale Sprache” zu benutzen. Also nicht gleich mit sozialistischen Begriffen und Theorien zu kommen. Oder beim Beispiel Alltagsrassismus: eine Person nicht gleich aus dem Laden werfen, sondern mit ihr diskutieren – aber dabei den eigenen Prinzipien treu bleiben.

Der Referent hielt ausserdem fest, dass Mitglieder von parlamentarischen Parteien nicht Mitglied in der Kommune werden können. Aus gutem Grund: Sie wären versucht, die Kommune gemäss ihren Parteizielen umzuformen. “Es wäre fatal, wenn die Kommune von den Grünen oder der Linkspartei übernommen würde”, so der Referent. Das sei aber ein Punkt, der noch Diskussionspotenzial enthalte, denn grundsätzlich sollten ja alle Menschen an der Kommune teilhaben können.

In der Diskussionsrunde nach dem Referat wurde unter anderem der Munizipalismus angesprochen, der an vielen Orten der Welt erfolgreich praktiziert wird. Eine weitere Online-Teilnehmerin, die selber für den Gemeinderat kandidiert, will mit ihrer Kandidatur den Gedanken von Commons, Demokratie und Partizipation fördern. Das Commoning ausweiten, “das Dorf als Commons begreifen”. In der linken Bewegung sei das Wissen da, aber in der Bevölkerung fehle es.

Geschichte & Widerstand”

Die Online-Veranstaltungsreihe “Die Kommune – Im Kampf die neue Gesellschaft aufbauen” wurde organisiert von “Geschichte & Widerstand”. Ausgehend vom Demokratischen Konföderalismus widmete sich die Reihe der Pariser Kommune von 1871, der Räterepublik in Deutschland, den Räten und Kommunen in der kurdischen Freiheitbewegung und den Kiezkommunen. Die Videos der Vorträge können auf der Webseite angeschaut werden. (Die letzten werden demnächst aufgeschaltet.)

Am 4. September 2021 plant “Geschichte & Widerstand” einen Bildungstag in Kassel, um über aktuelle Beispiele und Fragen sowie die historische Aufarbeitung von Kommunen- und Rätebewegungen zu diskutieren.

Am Ende der Online-Veranstaltung wurde die Frage geäussert, wie die heute bestehenden Ansätze von Kommunen miteinander in Verbindung gebracht werden können. Sowohl was die Kommunikation betrifft, als auch strategisch: wie selbstverwaltete Strukturen entwickelt werden können, damit wir gut aufgestellt sind für “stürmischere Zeiten”, die mit Sicherheit kommen werden.

Veranstaltungsreihe von Geschichte & Widerstand “Die Kommune – Im Kampf die neue Gesellschaft aufbauen”

Konzept der Kiezkommunen in Berlin

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