Vive la Commune! Interview mit Dr. Gaard Kets

Mit dem wissenschaftlichen Kongress „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kommunalismus“ Anfang Januar in Nijmegen (Niederlande) endete das rund dreijährige Forschungsprojekt „Es lebe die Kommune! Kommunalismus als demokratisches Repertoire“. Wir sprachen mit Dr. Gaard Kets, Assistenzprofessor für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft an der Radboud-Universität Nijmegen über das Projekt.

Wer hatte die Idee zu diesem Forschungsprojekt? Entstand sie im Zusammenhang mit dem 150jährigen Jubiläum der Pariser Kommune?

Dr. Gaard Kets: Die Idee für das Projekt stammt von Mathijs van de Sande (Fachbereich Politische Philosophie) und mir (Fachbereich Politische Theorie) aus dem Jahr 2020. Es stand in der Tat im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Kommune selbst, aber auch mit unseren Forschungsinteressen an radikaler Demokratie, Präfiguration und Arbeiterräten. Unsere Idee, etwas über die Pariser Kommune zu machen, passte sehr gut zu einer Förderung durch die Gerda Henkell Stiftung zur Erforschung demokratischer Entwicklungen. Sie hat also unser Forschungsprojekt finanziert.

Wann seit Ihr gestartet und wer gehörte zum Kernteam des Forschungsprojektes?

Kets: Wir begannen 2021 mit einer feierlichen Auftaktveranstaltung mit zwei Vorträgen von Julia Nicholls und William Clare Roberts über das Nachleben der Kommune. Das Kernteam bestand aus Mathijs van de Sande, mir und Laura Roth. Als Laura nach einem Jahr aus dem Projekt aussteigen musste, übernahm unser spanischer Kollege Juan Merida die Forschung über zeitgenössische kommunalistische Bewegungen in Spanien.

Mit welchem Ziel habt Ihr das Projekt begonnen?

Kets: Unser Ziel war es, zu verstehen, wie der Kommunalismus als „demokratisches Repertoire“ in den letzten 150 Jahren verstanden werden kann. Genauer gesagt wollten wir untersuchen, wie sich dieses Repertoire, dass heißt die Gesamtheit der Praktiken, Theorien und Institutionen, die sich zum Teil auf die Kommune von 1871 stützen, in verschiedenen zeitlichen und räumlichen Kontexten entwickelt hat.

Als Du uns im November 2022 für einen Vortrag in Münster besucht hast, erklärtest Du, dass Euer Projekt Kommunalismus „unpolitisch“ untersuchen würde. Was bedeutet das?

Kets: Gheghe, ich bin mir nicht sicher, ob ich mich damals richtig ausgedrückt habe. Ich denke nicht, dass unser Projekt unbedingt unpolitisch ist. Was ich, glaube ich, sagen wollte, ist, dass unsere Betonung des Kommunalismus als Repertoire sich von, sagen wir, dem Kommunalismus als Programm oder als Ideologie unterscheidet. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir uns zwar von der Arbeit von Murray Bookchin inspirieren lassen, aber zu einer anderen Auffassung von Kommunalismus kommen. Unsere Arbeit ist zunächst eher deskriptiv und lässt mehr Raum für interne Anfechtungen, Inkohärenz und wechselnde Perspektiven. Bei programmatischeren Ansätzen, wie dem von Bookchin, ist dies weniger der Fall. Vielleicht wollte ich darauf hinweisen. Aber natürlich gibt es auch eine offensichtliche normative und politische Seite in unserer Forschung, so dass ich sie sicherlich nicht als unpolitisch bezeichnen würde.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse Eurer Forschungstätigkeit?

Kets: Innerhalb der Teilprojekte hat unsere Forschung viele neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Kommunalismus in der deutschen Revolution, in den 1960er Jahren und in der jüngsten kommunalistischen Welle geliefert. Insgesamt denke ich, dass eine der interessanten Erkenntnisse darin besteht, dass Kommunalismus als Repertoire tatsächlich oft als „institutionelle Ökologie“ verstanden werden kann. Sowohl in der Pariser Kommune als auch in den 150 Jahren danach zeigt sich, dass sich der Kommunalismus nicht nur als direktdemokratische Form der Entscheidungsfindung entwickelt hat, sondern oft in Kombination mit allen möglichen anderen Formen der Organisation und demokratischen Entscheidungsfindung, wie z. B. politischen Parteien, Aktionsgruppen, Parlamenten, Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen und so weiter. Wir meinen also, dass wir den Kommunalismus auch in diesem weiten Sinne als demokratisches Repertoire verstehen müssen.

Der Abschlusskongress war exzellent besetzt. Ist er der Höhepunkt Eures Forschungsprojektes gewesen?

Kets: Ja, die Abschlusskonferenz war sehr erfolgreich. Wir hatten viele Anmeldungen für Podiumsdiskussionen und auch tolle Hauptredner. Ich fand es auch toll, dass wir mit Aktivisten, Beamten, Anwohnern, Studenten und Akademikern zusammenkamen – es war eine tolle Gruppe von Menschen. Damit war es definitiv ein Höhepunkt unseres Projekts. Aber auch unsere erste internationale Konferenz im Jahr 2022 war sehr erfolgreich und produktiv (wir werden demnächst ein Buch veröffentlichen – Communalism as a Democratic Repertoire –, das aus dieser Konferenz hervorgehen wird). Wir hatten auch drei kleinere „Expertentreffen“ zu den drei Teilprojekten, die ebenfalls sehr anregend waren.

Wird es eine Fortsetzung dieses spannenden Forschungsprojektes geben?

Kets: Zweifelsohne sind wir mit unseren Überlegungen zu den Praktiken, Ideen und Formen des Kommunalismus noch lange nicht am Ende. Das formale Projekt endet jetzt, aber als Forscher (und Menschen) arbeiten wir weiter an diesem Thema. Wir werden auch in der kommenden Zeit vieles veröffentlichen, was wir in der letzten Zeit vorbereitet haben. Wir denken darüber nach, wie wir einer Konferenz wie dieser eine nachhaltigere Form geben können, zum Beispiel als jährliche Veranstaltung. Aber dafür brauchen wir natürlich Zeit und Geld, und Organisationskraft. Auf jeden Fall haben wir festgestellt, dass es in der politischen und akademischen Gemeinschaft durchaus Begeisterung dafür gibt.

Interview: Werner Szybalski, Netzwerk für Kommunalismus


Beitrag veröffentlicht

in

,

von