Mit „die Kommune“ kann die Pariser Kommune von 1871 gemeint sein, aber auch ein ländliches Selbstverwaltungsprojekt oder eine politische Gemeinde. Die Konferenz „Pasts, Presents and Futures of Communalism“ in Nijmegen versuchte, die losen Fäden zusammenzuknüpfen und Kommunalismus als politische Strömung greifbar zu machen. Bookchin und Rojava waren oft genannte Stichworte. Aber es wurde auch deutlich, dass die Idee der Kommune darüber hinaus weist, auf eine elementare Praxis hin: dass an einem Ort lebende Menschen sich als Gemeinschaft verstehen und gemeinsam demokratische Entscheidungen über ihr Zusammenleben fällen.
„Es sind viele Formen von Kommunalismus, die hier diskutiert werden“, stellte Debbie Bookchin in ihrer Keynote fest. Die Journalistin und Autorin war extra aus den USA angereist, um am Abschluss-Event des Forschungsprojekts „Vive la Commune!“ an der Radboud Universität in Nijmegen (NL) teilnehmen zu können. An der zweitägigen Konferenz wurde die Idee der Kommune in allen möglichen Formen durchgespielt: die Kommune in Literatur und Film, historische Betrachtungen über das Erbe der Pariser Kommune in Russland, kommunalistische Politik in der Deutschen Revolution 1918–1919, kommunaler Widerstand gegen Megaprojekte in Goa, Neuer Munizpialismus in Spanien, alternative Ökonomie im ruralen Frankreich, die Kommune und Walter Benjamins „Jetztzeit“, die Kommune Canudos in Brasilien Ende des 19. Jahrhunderts, Murray Bookchins Kommunalismus oder kommunalistische Praxis in Rojava, die Kommune als Commons oder als ZAD.

Während das interdisziplinäre Forschungsprojekt in Nijmegen von der These ausging, dass „die Kommune“ beziehungsweise der Kommunalismus am besten als ein „demokratisches Repertoire“ zu fassen sei, beschrieb Debbie Bookchin explizit ein politisches Programm. Ihr Vater, Murray Bookchin, habe den Kommunalismus als den politischen Ausdruck der sozialen Ökologie verstanden und er sei zeitlebens einer starken Organisierung verpflichtet gewesen. Eines der Schlüsselkonzepte laute, „die Macht den Menschen auf der grundlegensten Ebene zurückzugeben“, also auf kommunaler Ebene, „anstatt dass sie regiert werden, sei es auch durch Repräsentant*innen.“ Geschehen soll dies mittels nicht-hierarchischer, direktdemokratischer Versammlungen; auch die Wirtschaft würde munizipalisiert werden; und die Kommunen würden sich konföderieren.
Die Delegierten, die von den Kommunen bestimmt werden, sieht Debbie Bookchin nicht als Repräsentant*innen, sondern lediglich als Boten*Botinnen, die von der Basis gefasste Beschlüsse auf die konföderale Ebene tragen. Das Argument, dass ein gewisses Mass an Bürokratie und vertikaler Organisationsform immer nötig sein werde, weil die Welt einfach zu komplex sei, lässt sie nicht gelten: „Der Konföderalismus kann wirklich eine Antwort darauf sein!“ Durch Konföderation könne die Basisdemokratie bis auf die kontinentale, ja globale Ebene hochskaliert werden. „Warum versuchen wir es nicht? Die repräsentative Demokratie hat ja nicht besonders gut funktioniert …“, meinte Debbie Bookchin. Es sei höchste Zeit, etwas Neues zu probieren.
Mit Trump, der gewillt sei, ohne Zögern die Verfassung zu verletzen und Menschen willkürlich einzusperren, komme eine neue Realität auf uns zu, die von uns etwas Neues verlange. Debbie Bookchin hofft, dass wir uns im Zuge dessen gemeinsam in eine neue Epoche bewegen: „in eine Epoche des Kommunalismus, der viele verschiedene Wege und Gesichter an verschiedenen Orten hat.“ Es existiere eine reiche Geschichte von kommunalistischen Ideen, die dafür angezapft werden könne.
Die Verteidigung des Lebens
Debbie Bookchin rief ferner dazu auf, die Selbstverwaltung in Rojava (Nordostsyrien) zu unterstützen, derzeit das „demokratischste und egalitärste Modell auf der Welt“. Damit griff sie einen Themenstrang auf, der an der Konferenz mehrfach zur Sprache kam. Demokratischer Konföderalismus stelle eine Alternative zum Nationalstaatenmodell dar, basierend auf direkter Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie, erklärte beispielsweise eine Vertreterin des Jineolojî Centers. Sie beschrieb, was Autonomie in Rojava in der Praxis bedeute: (politische) Kommunen etablieren, (ökonomische) Kooperativen gründen, Bildungseinrichtungen, sogenannte „Akademien“, organisieren. Es gehe auch darum, das Mindset der Herrschaft und des Patriarchats zu überwinden. Ein Ausdruck der neuen Mentalität sei unter anderem das „Co-Chair-System“, also dass wichtige Positionen immer von einer Frau und einem Mann besetzt werden sollen. Diese Massnahme für sich allein genüge jedoch nicht – sie bliebe oberflächlich, wenn sich nicht gleichzeitig die Frauen autonom organisieren und Frauenräte bilden würden.
Die Vertreterin des Jineolojî Centers wies darauf hin, dass die heutige Form der kommunalen Organisierung eigentlich sehr alt sei: „Der Mensch ist ein kommunales Tier.“ Gemeinschaftlichkeit basiere auf Sorge-Beziehungen; die Verteidigung des Lebens sei ursprünglich im Zentrum der Gesellschaft gestanden. Erst später seien diese kommunalen Werte auf den Kopft gestellt worden.
Marx’ Kommunalismus: Stadt-Land-Solidarität
Eine originelle Sichtweise, „komplementär zu Bookchin“, stellte der Soziologe Pierre Sauvêtre vor. Er identifiziert kommunalistische Ansätze beim späten Marx, der sich in der Periode von 1857 bis 1883 mit bäuerlichen Kommunen befasste. Im Gegensatz zur Bookchin’schen Kommune, die sich aus citizens (Bürger*innen) konstituiert, ist hier die Kommune ein politisches Kollektiv von Bäuer*innen/Arbeiter*innen, die in direktem Bezug zum Land stehen, unter der Form des kommunalen Landeigentums. Eigentum ist unmittelbar, nicht erst durch die politische Kommune vermittelt; eine Kommune zu bilden, bedeutet „zusammen politisch engagiert zu sein, um sich selbst wirtschaftlich zu tragen“. In der Kommune, die sich als kommunales Eigentum1 selbstdefiniert, stehen die Bäuer*innen in einem direkten Eigentumsverhältnis zum Land – und deshalb ist ihre Arbeit emanzipiert. Nur mit diesem Hintergrundwissen lässt sich laut Pierre Sauvêtre das Zitat von Marx in „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ verstehen, dass die Pariser Kommune „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte“2 sei. Endlich entdeckt darum, weil sie in der freien bäuerlichen Landkommune unter dem Deckmantel des Feudalismus schon immer existiert habe. Aus Marx’ Verbindung der Landkommune mit der urbanen „Commune“ lässt sich laut Sauvêtre ein Plädoyer für einen „neuen Internationalismus der Kommunen“ ableiten, ja einen „kommunalen Universalismus“, oder noch stärker ausgedrückt, für einen „dekolonialen planetaren Kommunalismus“. Auch die Pariser Kommune habe von 1871 habe gemäss ihrem Programm die Landkommunen in einer Konföderation assoziieren wollen.
Pierre Sauvêtre geht noch einen Schritt weiter – und hier kommt wieder Bookchin ins Spiel: Das ökologische Problem heute sei, dass die natürlichen Territorien von Unternehmen und Staaten kontrolliert würden, nicht von Kommunen. Staaten – und Marx – könnten das Problem nicht lösen, denn der Prozess der kapitalistischen Urbanisierung produziere die Trennung zwischen Stadt und Land. Mit dem Privateigentum gehe die unmittelbare Beziehung zum Land und zur Natur verloren; sie bestehe nur noch vermittelt durch das Profitstreben, dem das Wohlergehen der Natur fremd sei. Die Lösung liege – mit Bookchin – in der Dezentralisierung und somit in einer eigentlichen Umgestaltung des Territoriums. Die „Kommune der Kommunen“ bedeute deshalb auch: Solidarität zwischen Stadt und Land.
Dass die Praxis „aus den Buchseiten“ springt
Zu den vielen Highlights der Konferenz (das Programm war umfangreich) zählten unter anderem Beiträge zum neuen Munizipalismus in Spanien. Juan Mérida erwähnte in seiner Bilanz, dass die Bewegung zu sehr auf das „Recht auf Stadt“ bezogen gewesen sei und die Stadt-Land-Allianzen vernachlässigt habe. Strategische Schlüsselallianzen müssten identifiziert werden; der Nachbarschaftszusammenhalt müsse verstärkt werden, nicht nur auf Online-Plattformen. In der Organisation sei ein Leadership nötig, immer kontrolliert durch Abwählbarkeit, Rotation usw., das eine professionelle Vermittlungsrolle einnehme und Räume für Partizipation öffne. Juan Mérida sprach sich ausserdem gegen eine Romantisierung der Versammlung aus; die Bewegungen müssten „jenseits des Staats, aber mit dem Staat“ agieren, sonst würden sie marginalisiert.
Sixtine van Outryve d’Ydewalle erzählte von den Gelbwesten in Commercy, die – unter anderem von Bookchin und von Rojava inspiriert – eine konföderalistische „Versammlung der Versammlungen“ ins Leben gerufen haben. Allerdings sei die Bewegung abgeflacht, weil die Teilnahme an Lokalwahlen (nicht, um parlamentarische Politik zu machen, sondern im Sinn von Bookchins libertärem Munizipalismus: um die Macht an Volksversammlungen zu übertragen)3 sehr viel Energie beansprucht habe.
Zu sagen ist allerdings, dass dessen ungeachtet kommunalistische Ideen zurzeit in Frankreich einen Aufschwung erleben. Interessant war ferner die Arbeit von Aimery Salvayre über das pionierhafte munizipalistische Experiment in der französischen Stadt Saillans von 2014 bis 2020, das sich selber nicht so bezeichnet, aber von Aimery Salvayre nach einem Raster von „munizipalistischen“ Kriterien analysiert wird.
Die Schlussdiskussion am Ende des zweiten Tages verblieb grösstenteils auf der theoretischen Ebene – was für ein Forschungsprojekt ja durchaus in Ordnung ist. Trotzdem darf mit Debbie Bookchin gehofft werden, dass die Ideen „von den Buchseiten hoch springen“ und in die Praxis umgesetzt werden.
1 Ein weiterer interessanter Gedanke von Pierre Sauvêtre betrifft den Zusammenhang von Kommune und Commons. Als „Commonalism“ bezeichnet er eine Perspektive, in der die Commons nicht nur Selbstzweck sind, sondern in der sie durch die Assoziierung mehrerer Commons in der Kommune der ganzen Gemeinschaft zugute kommen. Damit verbunden ist eine Unterscheidung von kollektivem Eigentum (exklusiv) und kommunalem Eigentum (assoziativ, für alle Mitglieder der Kommune).
2 Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich
3 Siehe z. B. Sixtine Van Outryve D‘ Ydewalle: Becoming Mayor To Abolish The Position Of Mayor.