Demo mit violetter Fahne mit dem Logo von L'Offensive

Kommunalismus als gemeinsamer Rahmen: L’Offensive bündelt Gegenkräfte in Frankreich

In Frankreich sind in den letzten Jahren mehrere Bewegungen entstanden, die von der sozialen Ökologie beeinflusst sind oder das Wort «Kommunalismus» in ihrer politischen Agenda verwenden. Eine von ihnen, eine relativ junge und sehr aktive Organisation, nennt sich L’Offensive («Die Offensive»). Ihre Praxis umfasst Aktionen und Bündnisbildung, aber sie haben auch damit begonnen, Volksversammlungen zu organisieren, und sie planen, mit einem libertären munizipalistischen Programm an den nächsten Kommunalwahlen teilzunehmen.

Die im Jahr 2020 in der nordfranzösischen Stadt Lille gegründete L’Offensive zählt 60 Mitglieder vor Ort, aber auch in anderen Gegenden sind bereits Lokalgruppen entstanden. Auch in der Hauptstadt Paris ist eine Gruppe im Entstehen. Insgesamt sind etwa 300 Personen mit der Bewegung verbunden.

L’Offensive organisiert sich zu sozialen und ökologischen Themen mit einer Dual-Power-Strategie: linke Kräfte unter einem gemeinsamen Banner vereinen, Gegenmacht aufbauen und eine revolutionäre Dynamik schaffen, die in der Lage ist, das gegenwärtige System in Frage zu stellen. Sie beschreiben ihre politische Vision als Kommunalismus, d. h. eine Gesellschaft, in der sich die Menschen organisieren, um sich außerhalb des nationalstaatlichen Rahmens zu verwalten. Dementsprechend ist eines ihrer Ziele, «den Kommunalismus von unten in jeder Region Frankreichs zu fördern», wie eine Aktivistin aus der Gruppe erklärt.

Organisatorisch ist L’Offensive als eine Konföderation strukturiert, die sich aus lokalen politischen Gruppen und Organisationen, aber auch Genossenschaften zusammensetzt. Die einzelnen Personen in diesen Gruppen kannten sich zum Teil untereinander und hatten schon früher zusammengearbeitet, wie die Aktivistin erklärt. So sei das Bündnis auf eine organische Weise entstanden. «Nicht alle sind auf der gleichen Linie», fährt sie fort, «aber sie stehen nicht im Widerspruch zueinander – es gibt eine Einheit in der Vielfalt.» Der Rahmen des Kommunalismus mache es möglich, viele verschiedene Perspektiven zusammenzubringen.

In ihrer täglichen Praxis nimmt die L’Offensive an Demonstrationen teil, organisiert Veranstaltungen, engagiert sich in der Bildungsarbeit und ist in den sozialen Medien sehr präsent. Ihre Aktivitäten greifen oft die alltäglichen Probleme der Menschen in der Stadt auf, wie öffentliche Verkehrsmittel oder Umweltverschmutzung. Beeinflusst durch die Theorien von Murray Bookchin experimentieren sie auch mit Volksversammlungen. Bisher wurden diese Versammlungen sporadisch einberufen, wenn es um dringende soziale oder politische Fragen ging, etwa bei den jüngsten Rentenreformen. Letztendlich könnten ständige Versammlungen auf Stadtteil- und Stadtebene jedoch eine Alternative zum derzeitigen Modell der lokalen Verwaltung darstellen. «Wir sind gegen die repräsentative Demokratie – die Versammlung ist der Ort, an dem Politik stattfinden sollte», sagt die Aktivistin. «Aber das wird nicht von heute auf morgen erreicht.»

Der Plan ist daher, an den Kommunalwahlen teilzunehmen, die 2026 überall in Frankreich stattfinden. In Lille, einer Stadt mit fast 240‘000 Einwohnern, kandidiert L’Offensive auf einer gemeinsamen Liste mit anderen radikal linken Gruppierungen, während sie in kleineren Städten ihre eigenen Listen aufstellen wird. L’Offensive ist übrigens nicht die einzige Organisation, die bei den kommenden Kommunalwahlen mit einem kommunalistischen oder munizipalistischen Programm antritt. Neben Hunderten so genannten «Bürger*innen-» oder «partizipativen» Listen, von denen viele bei den letzten Kommunalwahlen erfolgreich waren, gibt es einige Listen, die sich ausdrücklich als kommunalistisch bezeichnen.

Eine Organisation, die sich in ihrem Programm auf den Kommunalismus bezieht, ist beispielsweise PEPS («Pour une Écologie Populaire et Sociale»). Während alle diese Organisationen in irgendeiner Weise die direkte Demokratie fördern, betonen die Mitglieder von L’Offensive, dass sie nicht nur die derzeitige Demokratie verbessern wollen, sondern im Fall eines Wahlerfolgs ihr Programm des Kommunalismus umsetzen und die Entscheidungsmacht dem Volk1 übertragen wollen.

Website: offensive.eco
Instagram: @l_offensive.eco

Interview mit einigen Mitgliedern von L’Offensive

Was bedeutet für euch Kommunalismus?

Julien: Kommunalismus ist eine politische Organisationsform, bei der sich die Menschen organisieren, um sich außerhalb des Nationalstaates selbst zu verwalten. Ziel ist es, Volksversammlungen (assemblées populaires) auf der Ebene der Stadt durchzuführen. Der Name «Kommunalismus» ist von einem Wort abgeleitet, das ein Synonym für «Stadt» oder «City» ist, und für größere Städte wären es Bezirke oder Stadtteile [in denen diese Versammlungen stattfinden]. Und der ganze Zweck des Kommunalismus ist es, eine Struktur dieser verschiedenen Volksversammlungen zu schaffen, und für die Kommunikation zwischen den Volksversammlungen werden Delegierte eingesetzt. Und es gibt keine andere Vertretung als diese Delegierten, wenn von der lokalen auf die nationale und vielleicht internationale Ebene gewechselt wird.

Victoria: Okay, vielleicht kann ich das noch vervollständigen, vielleicht auf eine eher theoretische Art und Weise. Es ist ein alternatives politisches Imaginäres zum Kapitalismus, das es uns ermöglicht, ihn zu überwinden, denn wir sind uns alle einig, dass wir aus dem Kapitalismus herauskommen wollen, aber wir haben kein richtiges politisches Imaginäres, also ist der Kommunalismus eine Möglichkeit, ihn hinter uns zu lassen und eine konkrete Alternative vorzuschlagen.

Führt ihr bereits Volksversammlungen durch, und wenn ja, plant ihr, sie auf einer regulären Basis zu institutionalisieren?

Victoria: Wir haben bereits mit Volksversammlungen begonnen, aber normalerweise halten wir sie im Rahmen von sozialen Bewegungen ab, zum Beispiel bei den Rentenprotesten. Wenn es verschiedene Arten von großen Mobilisierungen gibt, nutzen wir sie, um die Leute nach der Demonstration da zu behalten. Aber wenn es keinen genauen Punkt des Kampfes gibt, ist es in einer großen Stadt schwer, das aufrechtzuerhalten. Vielleicht auch, weil wir noch nicht die Zahlen erreicht haben, um sie täglich mit Leben zu füllen.

Julien: Wenn wir eine klare Richtung haben, dann funktionieren Volksversammlungen. Aber wenn der Kontext eher neutral ist, wenn es keine Massenbewegung oder Unruhen oder dieses oder jenes gibt, dann fangen die Leute an, über viele, viele Dinge zu reden, und es ist schwierig, einen Rahmen zu haben, und deshalb wird es fast langweilig. Es hat keinen Sinn, das zu tun. Aber wenn es funktioniert, ist es ein wirksames Instrument, um die Kräfte zu bündeln.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass nächstes Jahr in Frankreich Kommunalwahlen stattfinden werden. Das wird der perfekte Zeitpunkt sein, um zu sagen: Nun, diese Volksversammlungen können ein Ziel an sich sein. Denn das Ziel ist es, durch die Teilnahme an den Kommunalwahlen zu Volksversammlungen zu kommen, und die Idee ist, durch Handeln zu lernen. Es wird also hoffentlich der richtige Zeitpunkt sein, um Volksversammlungen in größerem und längerem Umfang durchzuführen. Aber wir werden sehen.

In Frankreich gibt es mehrere Bewegungen, die das Wort «Kommunalismus» benutzen, zum Beispiel die «listes citoyennes et participatives» (partizpative Bürger*innenlisten). Was denkt ihr über solche Bewegungen?

Julien: Ich habe eine sehr, sehr, sehr bereite Antwort darauf …

Victoria: Los! (lacht)

Julien: Nun, sie streben um jeden Preis die Einführung der direkten Demokratie an und glauben fest daran, dass dies die absolute Antwort auf all ihre Probleme sein wird. Und man kann in ihren Flugblättern und Traktaten solche Sätze lesen: Die direkte Demokratie muss erreicht werden und deshalb werden wir alle anderen Kämpfe beiseite lassen, bis wir die direkte Demokratie erreicht haben. Dem können wir natürlich nicht zustimmen. Denn stell dir vor, wie das in einer faschistischen Gesellschaft wäre: Oh, guter Junge, du hast die direkte Demokratie erreicht! Doch nun werden Entscheidungen getroffen, die die Rechte von Minderheiten absolut missachten. Es hat also keinen Sinn, dies um jeden Preis zu erreichen.

Victoria: Aus diesem Grund erarbeiten wir eine gemeinsame Erklärung. Eine Art Manifest, in dem wir beschreiben, was wir unter Kommunalismus und Munizipalismus verstehen, um sicherzustellen, dass wir uns von den Vorschlägen angrenzen, die einige «Citoyennistes» beschreiben. Damit wir nicht miteinander verwechselt werden.

Was ist mit PEPS, die das Wort «Kommunalismus» auch benutzen?

Christine: Natürlich ist PEPS mehr wie wir. Sie sind mehr auf unserer Seite. Aber wir haben natürlich unsere Differenzen.

Julien: Das ist keine Kritik, sondern nur eine Tatsache, aber nach dem libertären Munizipalismus sollten nur Kommunalwahlen angestrebt werden. Und PEPS zum Beispiel hatte Abgeordnete in der Nationalversammlung. Das ist kein politischer Fehler. Aber wenn man sich strikt an den libertären Munizipalismus hält, sollte man keinen Abgeordneten in der Nationalversammlung haben.

Wie kann soziale Ökologie in einem städtischen Kontext wie in Lille umgesetzt werden? Wie kann es für die Menschen, die in Lille leben, interessant sein, über Ökologie nachzudenken?

Christine: Ein Symbol für das Hauptproblem ist das Wasser, denn Wasser ist überall verschmutzt, aber in Lille haben wir PFAS und auch Verschmutzungen aus dem Ersten Weltkrieg, die von den Granaten stammen, die in der Nähe der Brunnen gefallen sind, aus denen wir unser Wasser holen. Alle sind um ihr Wasser besorgt. Du drehst den Wasserhahn auf und hast Wasser, aber wenn du auch nur einmal kein Wasser hast, gerätst du in Panik. Die Hitzewelle ist ein weiteres Beispiel.

Victoria: Im städtischen Kontext ist die Verschmutzung der Luft, des Wassers und des Bodens ein Problem. Die Menschen in den Städten sollten sich also im weitesten Sinne mit ökologischen Fragen befassen. Auch die biologische Vielfalt und die Frage, wie man Grünflächen in der Stadt erhalten kann. Es geht also auch um Fragen der Planung und darum, wie man eine Stadt in ihrem Gebiet denkt. Und die Verbindung zwischen der Stadt und dem sie umgebenden Gebiet, denn es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit. Denn wir müssen darüber nachdenken, wer was für wen produziert.

Würdest du sagen, dass die soziale Ökologie eine Möglichkeit ist, sich die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Menschen und der nicht-menschlicher Natur vorzustellen?

Julien: Nach Bookchin ist die Idee, dass alle Lebewesen miteinander verflochten sind und dass es keine Unterschiede zwischen Menschen und Tieren oder Wäldern oder was auch immer geben sollte. Das ist der Grund, warum die soziale Ökologie ein Projekt der Gesellschaft ist, das versucht, sowohl soziale als auch ökologische Probleme anzugehen. Und die Idee ist, keinen Unterschied zwischen den beiden zu machen. Wir müssen also irgendwie ein neues Wort finden, das Soziales und Ökologie zusammenbringt.

Danke für das Interview.


1 Mit dem französischen Wort «le peuple» ist nicht das Volk im nationalen oder ethnischen Sinn gemeint, sondern die populäre Basis, die Einwohner*innen.


Editiert am 25.3.2025 um 19.15 Uhr: „auf einer gemeinsamen Liste mit anderen radikal linken Gruppierungen“


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